Das Viertelfinale: Vier Spiele, vier Geschichten

Nach seinem Viertelfinale verlässt Mark Selby die Arena. Er winkt mit seiner Queue-Verlängerung ins Publikum und hat seinen Mund-Nasen-Schutz schon überm Ohr hängen.
Mark Selby braucht nur zwei Sessions zum Sieg. © World Snooker/Tai Chengzhe

Spannung, Nervenschlachten, Überraschungen und Machtdemonstrationen im Viertelfinale: Die letzten beiden Tage boten jede Menge Abwechslung. Dabei setzten sich Kyren Wilson, Mark Selby, Stuart Bingham und Shaun Murphy durch.

Nach einem aufregenden und vielen einseitigen Achtelfinal-Matches bot das Viertelfinale bei dieser Weltmeisterschaft viel Abwechslung. Jedes Match erzählte seine ganz eigene Geschichte.

Kyren Wilson mit den besseren Nerven gegen Robertson

In einem Match, in dem beide Spieler über weite Strecken nicht ihr bestes Spiel abrufen konnten, behielt Vorjahresfinalist Kyren Wilson die Überhand. In der ersten Session konnte sich Neil Robertson eine 5–3-Führung erarbeiten, auch dank zweier Centuries. Ihre zweite Session spielten sie am Dienstagabend. Beide streuten viele Fehler ein. Kyren Wilson machte seinem „Warrior“-Spitznamen alle Ehre und gewann fünf der acht am Abend gespielten Frames. Viele Frames dauerten lange, sodass die Session erst spät am Abend endete. Für beide Spieler bedeutete das eine kurze Nacht, denn das Match wurde am folgenden Vormittag zu Ende gespielt.

Mit einem 8–8 starteten die beiden in die letzte Session und es versprach spannend zu werden. Neil Robertson begann überraschend den ersten Frame mit einem Mark Williams-Break-off. Obwohl der ja keinen Einsteiger ermöglichen soll, blieb eine Rote auf die Mitte für Wilson, die dieser lochte und daraus ein Century-Break spielte. Wilson war gut drauf. Ganz im Gegensatz zu Robertson. Er hatte mehrere Chancen, konnte keine nutzen und fühlte sich sichtlich unwohl am Tisch. Kyren Wilson blieb erbarmungslos und gewann die verbleibenden Frames ohne noch einen abzugeben. Für Neil Robertson bedeutet das abermals das WM-Aus im Viertelfinale.

Kurze Glanzvorstellung im Viertelfinale von Mark Selby

Mit 95% Locherfolg hatte Mark Selby seine ersten beiden Matches gewonnen. Zu Beginn seines Matches gegen Mark Williams konnte er sich nochmal steigern. Er lochte 99 der ersten 100 Bälle. Am Ende muss er sich bei dieser Leistung fast gewundert haben, dass er die erste Session nur mit 6–2 gewann. Mark Williams stand zu Beginn der zweiten Session direkt unter Druck. Zwar konnte Selby das übermenschliche Niveau vom Vortag nicht wiederholen, aber er bestrafte Mark Williams Fehler weiter relativ effizient. Er gewann die ersten vier Frames der Session, sodass nach 10–2 Zwischenstand das Match bereits entschieden schien.

Mark Williams spielte nach der Pause noch ein Standard-Break-off, einen Break-off-Trickshot, gewann einen Frame mit einem starken Break und startete einen sehr ambitionierten Versuch auf ein Maximum-Break. Am Ende blieb es ein bisschen Show zum Abschied. Mark Selby gewann auch sein drittes Match bei dieser Weltmeisterschaft mehr als souverän und sparte sich am Ende sogar eine ganze Session. Mark Williams war nach dem Match voll des sprachlich-ausgefeilten Lobes für seinen Gegner:

Selby war nach dem Viertelfinale mit seiner Leistung sehr zufrieden. Auf die Frage, ob es ein Vorteil ist, in zwei Session gewonnen zu haben, antwortete er: „Ich hoffe es“. Und fügte hinzu: „Sagen wir es so, ich habe lieber einen Abend frei, als bei 8–8 heute Abend gegen Mark Williams anzutreten und nicht zu wissen, ob ich im Halbfinale sein werde.“ Das ganze Interview könnt ihr euch auf dem WST-Kanal bei Youtube anhören.

Bingham schlägt McGill im Match der WM

Das gesamte Viertelfinale war so namenhaft besetzt, dass das Match des Weltmeisters von 2015 und des Halbfinalisten des Vorjahres ein bisschen stiefmütterlich behandelt wurde. Sowohl Eurosport als auch die BBC entschieden sich am Nachmittag dafür, die zweite Session zwischen Trump und Murphy im Fernsehen zu zeigen und verzichteten dafür auf die Entscheidungssession zwischen Stuart Bingham und Anthony McGill. Eine mehr als fragwürdige Entscheidung. Insbesondere da das Match der beiden von Anfang bis Ende ausgeglichen auf hohem Niveau stattfand.

In der zweiten Session hatte sich Anthony McGill einen kleinen Vorsprung herausgespielt. Über Nacht stand es 9–7. McGill erwischte auch gleich den besseren Start, mit seinem dritten und dem insgesamt sechsten Century des Matches setzte er sich auf 10–7 ab. Doch dann hatte Stuart einen richtigen Lauf und gewann fünf Frames in Folge. Anthony McGill behielt die Nerven und gewann zwei umkämpfte Frames, um den Decider zu erzwingen.

Im Decider hatte McGill die erste Chance. Dann lochte er Braun und ließ den Spielball in den Pulk der Roten laufen, um das Bild zu entwickeln. Allerdings verteilten sich die Roten nicht wie erhofft, sondern der Spielball vergrub sich wie ein Maulwurf im Pulk. McGill blieb nichts anderes übrig, als eine Safety zu spielen. Nach einem kurzen Safety-Duell bekam Stuart Bingham eine Chance und lochte eine Rote zum Einstieg. Im Anschluss konnte er sich abermals auf sein ausgezeichnetes Scoring verlassen. Er machte keinen Fehler mehr und gewann den Decider im Viertelfinale souverän mit einem 125er Century-Break.

Shaun Murphy übersteht Trump-Comeback im Viertelfinale

Auch das Match zwischen Judd Trump und Shaun Murphy war anfangs sehr ausgeglichen. In der ersten Session trennten sie sich 4–4 und auch die ersten vier Frames der folgenden Session teilten sie gerecht auf. Bis dahin war das Match unterhaltsam, auf gutem Niveau, doch beide mit ein paar Fehlern im Loch- und Stellungsspiel. Am späten Nachmittag erwischte Shaun Murphy dann aber einen richtig starken Lauf. Mit zwei Centuries und zwei weiteren 50+ Breaks spielte er sich einen 10–6-Vorsprung heraus. Murphy wirkte stark und Trump verunsichert. Sie gingen in eine nur kurze Pause bis zur entscheidenden Session.

Am Abend zeigte Judd Trump direkt eindrucksvoll, dass er das Comeback im Visier hatte. Nach einem umkämpften Start des Frames spielte er ein starkes Break aus einem schwierigen Bild auf dem Tisch. Dabei lochte er gleich mehrere schwierige Bälle und zeigte, dass er seine schwache Periode vom Nachmittag überwunden hatte. Der Druck auf Murphy stieg. Und das merkte man ihm an. Er hatte in den folgenden Frames mehrere gute Chancen. Doch oft verstellte er sich leicht und verschoss dann machbare, aber nicht ganz leichte Reparaturbälle. Auch Trump machte Fehler, schien mit dem Druck aber besser zurechtzukommen. Zur Pause verkürzte er auf 9–11. Nach der Pause ging es zunächst so weiter wie zuvor. Shaun Murphy zeigte Nerven, Judd Trump verkürzte und glich dann zum 11–11 aus.

Trump mit Chancen, kann sie aber nicht nutzen

Im 23. Frame hatte Trump nach einem Fehler von Murphy wieder eine gute Chance, verschoss dann jedoch eine leichte Schwarze. Murphy hatte einen leichten Einsteiger und zog das Break durch, bis der Frame sicher war. Im folgenden Frame verschossen beide einige lange Bälle, ohne leichte Chancen für ihren Gegner zu lassen. Dann lochte Trump eine phänomenale lange Rote und hatte die Chance das Break über Braun in die Mitteltasche fortzusetzen. Zwar verschoss er Braun, die Stellung auf Rot gelang jedoch auch nicht.

Shaun Murphy nutzte die Gelegenheit für eine gute Safety. Das zahlte sich aus und brachte ihm eine große Chance. Doch im Break nach 62 Punkten hatte er Pech mit dem Split. Der Tisch war offen, aber er musste eine lange Rote in die gelbe Tasche versuchen und verschoss. Für Trump ergab sich die Möglichkeit zum Steal, er verschoss Rot auf die Ecktasche, doch sie fiel als Fluke in die Mitteltasche. Doch er konnte diese Chance nicht nutzen. Kurz darauf verschoss er eine weitere Rote, die dann für Murphy lochbar liegen blieb. Das ließ sich Murphy dann nicht nehmen und er komplettierte den vielleicht größten Überraschungssieg dieser Saison.

Ab morgen gibt es nur noch einen Tisch

Es bleiben noch fünf Tage und drei Matches. Ein Tisch wird aus der Arena geworfen – so gut das bei den schweren Biestern eben geht. Es geht auf das große Finale zu. Wir dürfen gespannt sein auf das, was noch kommt.

Das erste Halbfinale lautet Stuart Bingham gegen Mark Selby, die heute um 14 Uhr starten. Das zweite, Kyren Wilson gegen Shaun Murphy, beginnt um 20 Uhr. Alles Sessionzeiten und Zwischenergebnisse findet ihr auf unserer Turnierseite.

AutorIn: Målin

Målin mag Zahlen und Tabellen. Wenn sie gerade kein Snooker guckt, wirft sie wahrscheinlich einen Blick auf die Provisional Rankings. Ist durch Langeweile zum Snooker gekommen und weil sie schon in jungem Alter einen eigenen Fernseher im Kinderzimmer hatte. Neben Artikeln kümmert sich Målin bei SnookerPRO um die Spieler*innenprofile. Twitter: @esel_freund

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Ein Gedanke zu „Das Viertelfinale: Vier Spiele, vier Geschichten

  1. Rainer Schönlau

    Also, das, was Shaun in der letzten Session abgeliefert hat, und ich bin jetzt zwanzig Jahre grosser Snooker Fan, das meine ich, war unfasslich und obwohl man vieles vergisst, aber in DER Situation fünf Frames hintereinander so zu gewinnen, das toppt noch die letzten drei Frames letztes Jahr von Ronnie gegen Mark Selby, oder, einfach breathtaking… 😊

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