WM-Finale: Snooker-Feuerwerk gegen Arbeits-Snooker?

WM-Finale Selby und Murphy am Snookertisch
Treffen das erste Mal im WM-Finale aufeinander: Mark Selby und Shaun Murphy © World Snooker/Tai Chengzhe

Heute treffen Shaun Murphy und Mark Selby das erste Mal in ihrer Karriere in einem WM-Finale aufeinander. Alles scheint darauf hinzudeuten, dass sich hier zwei sehr unterschiedliche Spielstile begegnen werden. Aber ist das wirklich so?

Die Sessions beginnen heute und morgen jeweils um 14 und um 20 Uhr. Die Übersicht gibt es hier, wann das Spiel auf Eurosport übertragen wird, könnt ihr hier nachgucken.

Der lebenslustige Smurf, der seinen Jungs-Stil wiederentdeckt hat

Wir wissen, wie sehr Shaun Murphy in den vergangenen Jahren gekämpft hat. Manchmal war er regelrecht in der Versenkung verschwunden, wie 2018/2019, wo er es gerade mal auf eine Finalteilnahme brachte. Er hat viel an seinem Spiel gearbeitet, auch an seiner mentalen Einstellung, doch war er nicht wirklich zufrieden mit dem Ergebnis. Bei dem Versuch, sein Spiel von kleinen, unnötigen Fehlern zu befreien, ist er nicht nur vorsichtiger sondern auch langsamer geworden. Doch im Endeffekt hat ihn das nur blockiert und er fühlte sich gebremst. Doch was noch wichtiger ist: Es hat ihm auch den Spaß verdorben.

Nach seinem Viertelfinalsieg über Trump sagte Murphy: „Ich war wirklich überzeugt davon, dass ich mich auf einem Weg der Entwicklung befand. Doch es hat zu weniger Spaß und Freude am Spiel geführt. Aber jetzt bin ich zurück! Es ist sehr befreiend. Der Junge da draußen, der kann spielen. Der Kerl, der in den letzten paar Jahren da am Tisch stand, war ein Schwindler.“

Das One-Hit-Wonder hinter sich lassen

2005 wurde Murphy überraschend Weltmeister. Und auch wenn seine Leistung seitdem einen erneuten WM-Titel auf alle Fälle gerechtfertigt hätte, gelang ihm bisher kein WM-Sieg mehr. Während Murphy 2009 gegen John Higgins recht deutlich verlor, war er dem Titel 2015 wesentlich näher gekommen. Vor dem Finale gegen Stuart Bingham schrieb ich damals: „Dieses Finale wird nicht durch spielerische Fähigkeiten entschieden, sondern allein durch die Einstellung. Es scheint zwar, als hätte Murphy sein Trauma „Mein erster Titel war nur ein Zufallstreffer“ überwunden, doch Binghams Selbstvertrauen am Tisch scheint mir weitaus reifer und solider. Deshalb mein Tipp 18-14 für Bingham.“ Und sollte damit recht behalten.

Es ist also nicht unbedingt zu erwarten, dass Murphy hier unbeschwert die Bälle reinknallt und mit Century-Feuerwerken zum Titel rauscht. Auch bei seinen streckenweise hervorragenden Auftritten gegen Mark Davis, Yan Bingtao, Judd Trump und Kyren Wilson gab es immer Phasen, wo er kämpfen musste. Und im Finale wird der Druck sich für ihn noch einmal erheblich erhöhen. Denn im Gegensatz zu Selby muss er (sich) hier noch etwas beweisen.

Jetzt sind seitdem aber ja auch schon wieder ein paar Jahre vergangen. Murphy hat sich wahrscheinlich auch persönlich weiterentwickelt. Und vielleicht hilft der wiedergewonnene Spaß am Spiel ihm tatsächlich dabei, das Trauma abzuschütteln und endlich zum Mehrfach-Weltmeister zu werden. Und wenn ihm seine ulkig aussehenden Gebärden dabei helfen, dann soll er ruhig weiter sein Fäustchen ballen und Grimassen schneiden. Ich würde mich nie darüber lustig machen oder sogar beschweren, wie andere das tun.

Die übliche Erzählung vom „boring Selby“

Eine der ältesten Behauptungen der Snookergeschichte ist die, dass Mark Selby beim Spielen zuzuschauen, unendlich langweilig ist. Meist kommen diese Behauptungen aus den Lagern der O’Sullivan-Fans oder Fans von anderen Spielern, die als „offensiv spielend“ gelten. Ich persönlich bin ja ein eher seltenes Exemplar, das beiden Lagern angehört. Ich erfreue mich an einem Century-Break nicht wesentlich mehr als an einer schönen Safety-Schlacht.

Und zu beidem ist Mark Selby in der Lage. Wenn er mal im Flow ist, dann kann er uns ein paar schöne Breaks bescheren. Nicht umsonst ist er die Nr. 6 auf der Liste der Spieler*innen mit den meisten Centuries. Natürlich kullert er auch wieder die Bälle an die Bande, wenn ihn das taktisch im Spiel weiterbringt. Dagegen ist in meinen Augen nichts einzuwenden. Wenn du Weltmeister werden willst, brauchst du eben nicht nur die Fähigkeit, atemberaubende Bälle zu lochen. Sondern du musst dich auch auf deinen Gegner einstellen können.

Was den erneuten Vorwurf des Langsamspielens betrifft, sollten die Leute, die hier am lautesten Kritik üben, mal das Ganze ins Auge fassen. Ja, er denkt über manche Stöße lange nach. Doch wie langsam kann sein Spiel insgesamt denn sein, wenn er trotz dieser Nachdenkphasen immer noch auf eine geringere durchschnittliche Stoßzeit kommt wie sein Gegner?

Mit Kampfgeist und Kontrolle ins WM-Finale

Mark Selby sagte nach seinem Halbfinalsieg über Stuart Bingham, er wäre ruhig gewesen und hätte sein Temperament gut unter Kontrolle gehabt. Und er würde niemals aufgeben, bevor der letzte Ball gelocht ist. Das ist seine größte Stärke, auch wenn manche ihm das zum Vorwurf machen. Am Ende einer Session um die Foulpunkte von fünf Snookern zu spielen, hielten viele für übertrieben und unnötig. In diese Kerbe schlug nun auch Bingham. Ich würde sagen, der Sieg gibt seiner Strategie recht, oder nicht?

Da das Spiel gestern früher als erwartet zu Ende war, habe ich meine überschüssige Energie auf Twitter verpulvert. Thema waren auch die Interviews mit den Spielern, die ausgeschieden sind. Mehrere Menschen (inklusive mir) finden, dass sie keine gute Idee sind, weil aus der Enttäuschung heraus zu viel Unüberlegtes gesagt wird. Phil Robinson fasste das Geschehen nach Mitternacht ganz schön zusammen. Vielleicht könnten wir uns auch für das Finale darauf einigen, dass jeder Spieler hier einfach sein Bestes gibt.

 

 

AutorIn: Lula Witzescher

Lula Witzescher (genderqueer), im Netz auch bekannt als Dark Mavis *Lady*. Sucht für den Roman „Belinda to break“ einen Verlag. Streitet im Netz für alle Formen von equality. Hält die Butthole Surfers für die beste Band der Welt. www.twitter.com/lulawitzescher

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