Luca Brecel verwandelt 6–10-Rückstand in einen 13–10-Sieg und zieht ins WM-Halbfinale ein. Doch die wirkliche Sensation ist Si Jiahui, der ruhig und besonnen bleibt und im Decider sein Halbfinalticket bucht, finden Målin und Lula. Wir blicken auf vier sehr unterschiedliche Viertelfinale.
Die Turnier-Überraschung: Si Jiahui schlägt McGill in Nervenschlacht-Decider
Durch das Duell zwischen Anthony McGill war vorab garantiert, dass einer der Qualifikanten das Halbfinale erreichen würde. Den besseren Start erwische Si. Zwar konnte McGill den ersten Frame der Partie gewinnen, die folgenden vier gingen aber an Si, inklusive Century. Doch bis zum Ende der ersten Session konnte McGill wieder ausgleichen. In den beiden Sessions am Mittwoch wechselten sie sich mit den Framegewinnen so ab, dass mal der eine, mal der andere einen oder zwei Frames Vorsprung hatte. Es blieb aber ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden.
Zwischenzeitig spielten McGill und Si kein gemeinsames Snookermatch gegeneinander. Vielmehr schien es als würden beide abwechselnd mit ihren eigenen Dämonen kämpfen. Und für diese spirituelle Reise nutzen sie gemeinschaftlich einen Snookertisch. Immer mal wieder schien einer der beiden einen Rhythmus zu finden – um sich womöglich entscheidend abzusetzen. Aber nach einem solidem Break, einem tollen Pot, einer tollen Safety, folgte irgendwann wieder ein katastrophaler Loch- oder Stellungsfehler. Zwischendurch wurde aber auch mal herzlich gelacht:
Scenes. pic.twitter.com/3pJBgbxTjx
— redblacksnooker (@redblacksnooker) April 26, 2023
So stolperten die beiden gemeinsam bis zum 11–11. McGill hatte zur Pause vorne gelegen, doch die beiden umkämpften Frames danach gingen wieder an Si, sodass er erneut zum Ausgleich kam. Dann fand Si etwas von seinem Selbstvertrauen wieder und gewann einen schnellen Frame mit einer 87. Nur damit McGill dann plötzlich mit dem höchsten Break des Matches, einer 130, konterte.
Im Decider war es mal wieder Si Jiahuis phänomenales Longpotting, das ihm die erste Chance brachte. Doch nach 21 Punkten verstellte er sich, er blieb besonnen und spielte eine gute Safety, aus einer zweiten Chance spielte er nochmal knapp 50 Punkte, lochte Frame- und Matchball und bekam dafür tosenden Applaus aus dem Publikum. Danach musste er noch eine Weile cool blieben, während McGill um einige Foulpunkte kämpfte, doch dann war es amtlich: Si Jiahui zieht ins Halbfinale der Snooker-Weltmeiterschaft ein.
Wer mehr über Si erfahren möchte, kann hier die Pressekonferenz nach dem Match sehen.
Die Jeder-Spielt-Eine-Miese-Session-Partie: Brecel 13–10 O’Sullivan
Wer hätte das gedacht, dass Luca Brecel, mit 6–10 gegen Titelverteidiger O’Sullivan (in dessen 100. Crucible-Match) zurückliegend, sieben Frames in Folge holt? Wir nicht. War aber so. Das hatte es übrigens schon lange nicht mehr gegeben, dass jemand nach solch einem Rückstand ins Halbfinale der WM eingezogen ist.
Bill Werbeniuk in 1983. Was trailing 6-10 against David Taylor. Won 13-10.
— (P) JM (@John_ITFC) April 26, 2023
Luca Brecel hatte in den ersten zwei Sessions reichlich unklug gespielt und war nicht unverdient mit vier Frames in Rückstand geraten. O’Sullivan hatte zwar nicht brillant, aber doch solide und konzentriert gespielt. Ich (Lula) hatte im Kopf schon lobende Worte dafür gefunden, dass sein Spiel in den letzten Jahren vielfältiger geworden ist und wie sehr mir das gefällt. Und dann fügte er in der letzten Session zu der Vielfalt einfach mal unterirdischen Standard hinzu. Brecel machte keine Kamikaze-Aktionen mehr, sondern packte ein bisschen Zauber aus und am Ende gewann O’Sullivan nicht einen Blumentopf. Damit steht Brecel zum ersten Mal in einem WM-Halbfinale.
Die Seriösen und Fokussierten: Allen 13–10 Jones
Jak Jones hat uns bei dieser WM mit seinem unerschütterlichen Spiel beeindruckt. Das hat er auch im Viertelfinale fortgeführt. Man sollte meinen, bei einem langsameren Spieltempo bleibt auch mehr Zeit für Zweifel, aber daran scheint Jak Jones grundsätzlich keine Gedanken zu verschwenden. Mit zwei soliden frameentscheidenden Breaks konnte er zunächst in Führung gehen. Sein absolut solides Scoring brachte ihm im Matchverlauf auch weitere Frames ein und er hielt den Druck auf den ‚Mann der Saison‘ Allen hoch.
Mark Allen gewann Frame 3 zwar mit einer 137, danach war es aber nicht sein Scoring, sondern seine Geduld und sein gutes Matchplay, das ihm die Frames brachte. Beiden sah man an, wie konzentriert und fokussiert sie das Match angingen. Mit einer 124 glich Jak Jones in der dritten Session noch ein letztes Mal zum 10–10 aus.
Dann schlichen sich doch ein paar ärgerlichere Fehler bei Jones ein, die Mark Allen gut für sich nutzen konnte. Er gewann die nächsten beiden Frames und sicherte sich auch in Frame 23 einen soliden Vorsprung um 40 Punkte. Das Bild auf dem Tisch lud nicht zu einer Clearance ein. Jones kämpfte mit dem Rücken zur Wand, nahm in Kauf Foulpunkte zu brauchen, foulte dann noch selbst, aber bekam die nötigen Punkte. Am Ende belohnte allerdings Mark Allen seine Geduld. In einem Frame, der über eine Stunde andauerte, lochte er am Ende die entscheidenden Bälle und zog zum ersten Mal seit 2009 wieder ins Halbfinale bei der WM ein.
Die 4-fachen Schnecken: Selby 13–7 Higgins
Was passiert, wenn zwei 4-fache Weltmeister, die als die besten Safetyspieler ihrer Generation bekannt sind, aufeinander treffen und beide einfach alle langen Einsteiger verschießen? Genau, das Publikum vor Ort muss jede Menge Sitzfleisch mitbringen und auch wir an den Fernsehgeräten und Streams müssen viel Geduld aufbringen. Dafür wurden wir aber auch mit der ein oder anderen Safetyperle belohnt.
Sie legten gleich im ersten Frame mit einer Re-Spotted Black los, die nach langem Hin und Her Higgins lochte. Danach legte Higgins weiter vor, ging zwischenzeitlich 4–1 in Führung. Doch Selby konnte zum Ende der Session mit gutem Breakbuilding ausgleichen. In der zweiten Session konnte Selby erst auf 7–4 und zum Ende der Session auf 9–5 davonziehen. Sein Century im letzten Frame war sein 100. Crucible-Century.
Mark Selby kam natürlich sein Matchplay und sein absolutes Durchhaltevermögen zugute. Doch auch ein paar wilde Flukes im Spielverlauf entschieden das Match zu seinen Gunsten. Higgins konnte zwar beim 10–5 noch ein Mini-Kommzurück starten, aber am Ende brachte Selby die Sache doch zu Ende. Er trifft im Halbfinale auf Mark Allen.
Die WM-Halbfinale am Donnerstag, Freitag und Samstag
Die WM-Halbfinale lauten Luca Brecel – Si Jiahui und Mark Allen – Mark Selby. Den Anfang machen morgen um 14 Uhr Brecel und Si, um 20 Uhr läuft die erste Session des zweiten Spiels. Diese gehen über Best-of-33 und damit im besten Fall über vier Sessions.
Die Spielpaarungen, -zeiten und (Zwischen)Ergebnisse findet ihr wie immer auf unserer Turnierseite.