Das Turkish Masters 2023 wurde abgesagt. Das ist nicht nur schade, sondern hat folgenreiche Konsequenzen für den Saisonkalender. Wir werfen einen Blick auf die Probleme und dann geben wir uns mal selbstbewusst und lösen sie alle.
Im letzten Jahr klang es noch so gut: ein Vier-Jahres-Vertrag und noch dazu ein hohes Preisgeld. Doch die Realität hat die Hoffnung zunächst wieder eingefangen. Zumindest in dieser Saison wird es also keine neue Ausgabe des Turkish Masters geben. Judd Trump bleibt bis auf unbestimmte Zeit amtierender Champion.
Vor kurzem fragte Shaun Murphy auf Twitter, ob es denn zu viele Turniere mit einem reduzierten Teilnehmendenfeld gebe. Tatsächlich gibt es davon in dieser Saison ganz schön viele: Das Mixed Doubles, das Hong Kong Masters, das Champion of Champions, die Invitational Championship League, das Masters, die Players Series mit World Grand Prix, Players Championship und Tour Championship sowie die 6-Reds Weltmeisterschaft. Also fast die Hälfte aller Turniere der Saison. Reanne Evans fasste mit ihrer Antwort das Problem ganz gut zusammen:
For viewers maybe not . For players yes
— Reanne Evans MBE (@evans_reanne) January 17, 2023
Die großen Stars haben natürlich auch die größte Zugkraft. Und gerade wenn die Besten aufeinandertreffen, gibt es für uns unterhaltsamstes Snooker zu sehen. Aber was heißt das für den Rest der Tour?
Das Turkish Masters hinterlässt gigantische Lücke im Kalender
Wer in den Saisonkalender guckt, sieht aktuell im März eine große Lücke. Im März gibt es nun nur noch zwei Turniere: Die 6-Reds Weltmeisterschaft und die Tour Championship. Aber nur ein Bruchteil der Tour nimmt daran teil, 28 Profis nehmen an der 6-Reds-WM teil, an der Tour Championship sogar nur 8. Für den Rest der Tour ist im März, kurz vorm Saisonhöhepunkt nichts mehr vorgesehen.
Im Februar finden noch das German Masters und die Welsh Open statt. Die Qualifikationen dafür wurden bereits gespielt. Und einige Profis haben die Qualifikationen für beide Turniere verpasst. Wenn meine Zählung korrekt ist, betrifft es 32 Profis, die jetzt beim Shoot Out diese Woche ihr voraussichtlich letztes kompetitives Match vor der Weltmeisterschaft im April spielen. Das ist schockierend.
The Blame Game
Was ist nur schief gelaufen? Von außen kann man das natürlich nicht wirklich beurteilen. Natürlich kann ich mich aufs hohe Ross setzen und mal allerhand Thesen aufstellen, aber was bringt das? Aber es bringt auch nichts, den Wegfall der Gibraltar Open, das Ausbleiben der chinesischen Turniere und nun die Absage des Turkish Masters nur als Pech und Verkettung unglücklicher Umstände anzusehen.
Welche Probleme bestehen, sehen wir von außen ein bisschen: Mit Cazoo gab es plötzlich mal einen halbwegs sympathischen Sponsor für viele Events. Aber es lassen sich nicht mehr Gebrauchtwagen verkaufen als es Autos gibt. Dass es nicht gut gehen kann, wenn ein kleines britischen Spartenunternehmen quasi den gesamten europäischen Sport finanziert, konnte man sich vielleicht im Vorfeld ausmalen. Ich vermute, das haben auch die Verantwortlichen bei Worldsnooker gesehen. Dass sie sich dennoch drauf einließen, lässt eine gewisse Alternativlosigkeit erahnen. Dazu passt dann auch die Absage des Turkish Masters aus Finanzierungsgründen sowie der späte Sponsoring-Deal für die Players Series ins Bild. Mit letzterem Deal hat man in puncto Fragwürdigkeit ein neues Allzeithoch erreicht.
Hat Worldsnooker verschlafen seriöse Werbepartner an sich zu binden? Hat sich die Werbeindustrie in den letzten Jahren stark verändert und haben klassische Werbepartnerschaften ausgedient? Das sollen Leute diskutieren, die sich damit auskennen, kommen wir zurück zum Snooker:
Mehr für alle
Unabhängig davon, wer das Blame Game denn nun verliert, ob es einfach nur unglücklich ist, dass Turniere im Frühjahr ausgefallen sind: Der Saisonkalender hat ein strukturelles Problem. Für die Players Series, also den World Grand Prix, die Players Championship und die Tour Championship können sich die Spielenden über die Rangliste der aktuellen Saison qualifizieren. Sie sind also wie Einladungsturniere, aber es gibt Ranglistenpunkte, da für alle faire Zugangskriterien herrschen. Aber auch hier gilt: Nur die Besten haben Zugang. Hast du eine schwache erste Saisonhälfte gehabt, darfst du in der zweiten nicht mehr viel spielen.
Da die Saisonrangliste das Zugangskriterium ist, müssen alle drei Turniere später in der Saison liegen. Dazu kommt das Masters, das traditionell seinen Platz im Januar hat. Da bleibt nicht mehr viel Platz für andere Turniere in dieser Zeit. Oder nur solche, wie das German Masters, bei dem die Qualifikation Monate früher gespielt werden.
Ich stimme also Reanne Evans zu: Aus Sicht der Profis (hier gemeint natürlich vor allem diejenigen, die außerhalb der Top 16/32 sind) gibt es wohl zu viele „Elite-Events“. Und auch die Topstars sind damit ja nicht glücklich. Spieler wie Neil Robertson und Judd Trump ließen ja schon durchblicken, dass es an die Substanz geht, ein Turnier nach dem anderen bis in die finalen Runden durchzuspielen.
Alles mal gut durchstufen
2020 kehrte das gestufte Qualifikationssystem für die Weltmeisterschaft zurück. Die Top 16 waren dort aber ja ohnehin immer gesetzt gewesen. Seit dieser Saison gilt das auch für die UK Championship. Und ich wage die Prognose: Das wird sich weiter ausbreiten. Zwar widerspricht das dem Prinzip der Gleichbehandlung, aber abgesehen davon, erscheint es wie die eierlegende Wollmilchsau. Die Topstars sind gesetzt und ihnen bleiben unattraktive Qualifikationen erspart. Aber auch die Profis weiter unten in der Rangliste, sind gar nicht traurig, wenn sie häufiger gegen Gegenspieler*innen auf ihren Niveau treffen, anstatt sich ein ums andere Mal von einem der Topstars in Runde 1 einen Whitewash verpassen zu lassen. Und die Anzahl bestrittener Matches gleicht sich für alle Profis an.
Absolutely. Tiered qualifiers system everywhere would just make things right. Then there is no real point in reduced ranking tournaments https://t.co/4J6RlZHsVo
— Andres Petrov (@SnookerForce) January 17, 2023
Aber auch das Fernsehpublikum und das Publikum vor Ort profitiert. Die Lieblingsstars scheiden nicht vor dem eigentlichen Turnierbeginn aus und die Veranstalter können mit dem ganzen Staraufgebot werben. Stellt euch vor: Es ist German Masters und alle sind da.
Gestufte Qualifikationen sind gut. Das Sahnehäubchen auf der Saisonplanung wäre, wenn Worldsnooker es mal hinbekäme, dass die auch alle kurz vor dem Turnier gespielt werden. Wen interessiert nächste Woche beim German Masters noch die Form, welche die Qualifizierten vor zweieinhalb Monaten hatten? Ganz nebenbei verringert das auch die Wahrscheinlichkeit, dass zwischen Qualifikation und Hauptrunde mehrere (Nicht-)Spielende suspendiert werden.
Mal ganz konkret
Ich begebe mich mal auf die grüne Wiese. Was im Kalender würde ich verändern:
- Die Tour Championship der acht besten aus einer Saison nicht mehr vor der WM spielen, sondern im Sommer als Saisonauftakt für die folgende Saison. Es wird nicht um Ranglistenpunkte gespielt. (Alternative: Die Tour Championship wird gestrichen. Als Höhepunkt zum Saisonstart gibt es stattdessen das Champion of Champions. Alle Champions sind dann aus EINER Saison.)
- Den alten Platz der Tour Championship kann die Players Championship einnehmen. Das Format kann dann unverändert bleiben.
- Der World Grand Prix spielen wir wieder etwas früher aus, nämlich als letztes Turnier des Jahres. Außerdem vergrößern wir ihn ein wenig: Die bis zu dem Zeitpunkt besten 16 der Saison sind für die zweite Runde gesetzt. Nummer 17 bis 48 spielen in Runde 1 aus, wer gegen sie antreten darf.
- Mehr Wildcards für Einladungsturniere: Die 6-Reds Weltmeisterschaft hat es vorgemacht. 28 Spieler*innen wurden eingeladen. Die verbleibenden Profis haben aber die Chance bekommen, sich über eine Qualifikation eine von insgesamt vier Wildcards zu erspielen. Das sollte Standard für alle Einladungsturniere sein (bis auf das Champion of Champions).
- Die ’neue‘ Version der Championship League als sanfter Saisoneinstieg im Sommer darf bleiben. Aber die alte Version, die ist spannend wie eingeschlafene Füße und auch nur für die Topprofis zugänglich. Die könnte man langsam mal einstampfen. Zwei Events mit demselben Namen im Kalender waren eh nie eine gute Idee.
- So zumindest ein zwei Pro Ams im Kalender wie das alte PTC Format. Klein und liebenswert. Offen für Amateurspieler*innen. Wäre das zu viel gewünscht? Vielleicht auch im 6-Reds-Format. So, zum Beispiel in Belgien? Ich finde, Belgien als Standort für ein Turnier der Saison würde sich gut machen.
- …
Wenn ihr euch was für die Tour wünschen könntet, was wäre das?
Ist Snooker aus?
Im ersten Jahr der Pandemie haben es WST und die WPBSA gut geschafft, schnell Dinge auf die Beine zu stellen. Nicht alles war das Gelbe vom Ei, wie die WST Pro Series, aber es war zumindest etwas. Alle Profis konnten etwas Geld verdienen und ein paar bedeutungsvolle Matches spielen. Ich hoffe, dass sie so dieses Jahr auch einen Ersatz für das Turkish Masters aufstellen können. Sodass nicht einige Profis eine Dürreperiode vom Shoot Out bis zur Weltmeisterschaft haben. Alle Daumen werden gedrückt.
Wem Hoffnung nicht genug ist, der kann sich noch die Analyse der Kolleg*innen von Total Clearance anhören oder (auf Englisch) die von David Caulfield lesen. Es gibt aber durchaus einige Überschneidungen.
Wie Rolf Kalb gestern mitteilte , wird es wohl in Sheffield ein Ersatzturnier für die Turkish Masters geben, finde ich echt gut. Gerade für die Spieler, die nicht vorn in der Rangliste stehen, gibt es da die Möglichkeit , wertvolle Punkte zu sammeln.