In letzter Zeit habe ich latent Verstopfung und trinke deshalb abends immer ein Glas Sauerkrautsaft. Gestern habe ich auch noch zu Abend Rote Bete gegessen und der Saft hat einen leichten Durchfall verursacht. Nachdem ich heute früh auf der Toilette war, beschwerte sich meine Mitbewohnerin über die Sauerei.
So begann mein Tag. Anschließend wollte ich einen Artikel über die ersten Spiele der zweiten Runde der UK Championship schreiben. Ich guckte kurz auf Twitter.
Und plötzlich hatte ich eine Erleuchtung. Mir wurde bewusst, dass ich, wenn ich für diesen Blog schreibe, eine Verantwortung trage. Und zwar die Verantwortung, sorgfältig abzuwägen, was ich schreibe. Und vor allem: was ich nicht schreibe. Denn nicht alles, was mein Gemüt erregt, ist eine Nachricht. Nicht alles, was mich bewegt, ist guter Stoff für einen Artikel.
Der hat gesagt, dass der gesagt hat …
Nachdem wir vor Tagen ja schon darüber informiert wurden, warum der eine Spieler dem anderen Spieler nach einem Maximum nicht die Hand geschüttelt hat, war es heute etwas noch viel Wichtigeres, worüber geschrieben wurde. Und zwar hat der eine gesagt, dass ihm das mit dem Snooker gar nicht das Wichtigste im Leben ist und der andere hat gesagt, dass das aber nicht gut ist, dass der eine das sagt. Und dann hat der eine gesagt, dass ihm das ziemlich egal ist, was der andere über ihn sagt. Das Ganze wurde natürlich in den jeweiligen Etappen des Gesagtwordenseins mit dementsprechenden Überschriften versehen. Mit Wörtern wie “X slams Y” und “disgusting attitude”, auf die einfach alle draufklicken wollen, um zu lesen, was denn passiert ist. Um festzustellen, dass eigentlich gar nichts passiert ist.
Zwei unvergleichliche Botschafter für den Snooker-Sport
Nun handelt es sich bei den beiden Spielern um Charaktere, die in Sachen Meinung unterschiedlicher nicht sein können. Der eine wird immer wieder etwas gefragt, was er eigentlich gar nicht beantworten möchte oder schon tausendfach beantwortet hat. Das ist ihm langsam langweilig. Und deswegen denkt er sich immer wieder neue Antworten aus. Die oft keinen Sinn machen und zu vorherigen Antworten nicht passen. Aber meistens eine Menge Leute anpissen.
Der andere wird meistens gar nicht gefragt, sondern sagt eigentlich ungefragt bei jeder sich bietenden Gelegenheit irgendetwas. Oft über Dinge, die ihn nichts angehen oder die ihn nicht so gut aussehen lassen. Falls die Zeit, die ihm in der Box der BBC dafür zur Verfügung steht, mal nicht reicht, hat er sogar einen eigenen Podcast.
Und damit wir aus dem Thema noch ein bisschen länger etwas herausquetschen können, gucken einige auf den Spielplan. Und erwarten beim potentiellen Aufeinandertreffen der beiden im Halbfinale der UK Championship, dass es durch die Diskussion schmackhafter wird. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht. Aber mir wird ein Snookermatch richtig schmackhaft durch hohe Breaks, Safety-Schlachten, das mehrmalige Wechseln von Momentum und Führung, Kommzurücks, ungerechte Flukes und eine Entscheidung im Decider.
Worüber wir wirklich diskutieren könnten
Ich finde, es gibt durchaus Themen, die diskussionswürdig sind. Sexismus im Snooker zum Beispiel. Darüber, dass die meisten, die ihre Meinung dazu lautstark kundtun, gar nicht wissen, was das Wort wirklich bedeutet.
Oder über Sportswashing. Also darüber, wie viel Sinn es macht, Turniere in Ländern ohne jegliche Snooker-Infrastruktur auszutragen und dabei unterdrückerischen Regierungen positive PR zu liefern. Das wäre so wie eine Fußball-WM in Katar zu veranstalten. Aber auf so eine Idee würde ja niemand kommen.
Oder darüber, dass viele Spieler*innen mit Depressionen und/oder Sucht zu kämpfen haben. Wir könnten überlegen, inwieweit die Rahmenbedingungen des Sports dazu beitragen und was wir dagegen machen könnten.
Oder ob die Geldrangliste die beste Lösung ist (ist sle nicht) und ob nicht ein anderes System sinnvoller wäre (wäre es!), wie Monique Limbos und Lewis Pirnie erklären.
Sich aufregen als Frustabbau
Stattdessen spekulieren wir, urteilen wir, beurteilen wir. Lautstark, im TV, in Medien, auf Twitter & Co. Urteilen über Einstellungen, (mangelnde) Fähigkeiten, Körpergewicht, über (angeblich vorgetäuschte) Krankheiten. Wir erfinden Rivalitäten oder blasen diese aus einem unbedacht hingeworfenen Seitenblick auf. Vielleicht kommt das daher, weil wir in Wirklichkeit Dinge zum besseren wenden wollen, aber leider Dinge gar nicht beeinflussen können. Wenn wir uns öffentlichkeitswirksam über etwas aufgeregt haben, haben wir vielleicht das Gefühl, wenigstens etwas getan zu haben? Haben wir aber nicht wirklich …
Ich könnte mich angesichts der gesamten Situation auf der Welt auch stundenlang aufregen. Zum Beispiel über Leute, die transfeindliche Kommentare unter Snookerposts verfassen oder herzchenklicken. Darüber, dass Rapist Ronaldo immer noch gefeiert wird. Dass jemand ohne Ahnung einfach nur aus Ego Twitter kauft und sich dann wie ein Diktator aufführt (auch wenn es manchmal einfach nur zum Lachen ist, ist es doch ein hysterisches). Ich könnte auch die Leute verurteilen, die sich über Kartoffelbrei statt Klimakrise aufregen. Oder die sich ein E-Bike kaufen und das auch noch nachhaltig finden. Und ja, manchmal tue ich das auch.
Murphy, O’Sullivan, Ding, Ford, Craigie und Allen weiter
Es wurde übrigens auch Snooker gespielt. Shaun Murphy besiegt trotz (vorgetäuschter?!) Rückenprobleme Judd Trump im Decider, obwohl dieser das Match lange unter Kontrolle zu haben schien. Ding Junhui schlägt Überraschungssieger Jamie Clarke mit einer beeindruckenden Performance deutlich 6–1. Er trifft im Viertelfinale auf Ronnie O’Sullivan, der mit (angeblich) schlechter Leistung 6–0 gegen Zhou Yuelong gewonnen hatte.
Sam Craigie setzte sich gegen Ryan Day durch. Mark Allen gewann gegen Kyren Wilson. Und Tom Ford steht nach seinem Sieg über Luca Brecel im Viertelfinale.
Die letzten beiden Partien der zweiten Runde lauten Hossein Vafaei gegen Jack Lisowski und Stuart Bingham gegen Joe Perry. Alles andere auf unserer Turnierseite.
Hallo Lula,
ein vortrefflicher Artikel, der auch abseits von Twitter und Snooker erheblich wunde Punkte benennt, damit ins Licht holt und pointiert bespricht.
Danke!
Danke! Ich bin froh, dass ich mir das mal vom Herzen schreiben konnte.