Rekord-Comeback von Brecel verhindert Si Jiahuis Einzug ins Finale der WM

Vor dem WM-Finale: Luca Brecel, junger weißer Snookerspieler am Tisch mit Queue in der Hand.
Eine atemberaubende Aufholjagd brachte Luca Brecel ins Finale der WM. © World Snooker/Tai Chengzhe

Si Jiahui verfehlt bei seinem allerersten Auftritt im Crucible das Finale der WM ganz knapp auf herzzerreißende Weise. Luca Brecel ist der erste Europäer außerhalb der britischen Inseln, der in ein WM-Finale einzieht. hat Si-Brecel und  die beiden Marks angeschaut.

Luca Brecel bucht Finale mit Rekord-Comeback

Sowohl für Si Jiahui als auch für Luca Brecel war das Setup im Crucible mit nur noch einem Tisch neu. Beide zeigten sich zu Beginn völlig unbeeindruckt. Wer befürchtet hatte, dass Si Jiahui nach der späten Decider-Entscheidung am Vorabend etwas müde ins Halbfinale starten würde, konnte falscher kaum liegen. Der erste Frame ging an Brecel, Si holte sich danach die folgenden vier und erzielte dabei zwei Centuries. Brecel konnte den Schaden zum Ende der Session noch gering halten, Si verschaffte sich mit 5–3 einen leichten Vorteil. Die Fans bekamen in diesem Halbfinale zu sehen, was sie sich erhofft haben. Unbekümmertes offensives Snooker mit einigen tollen Longpots, guten Breaks und ‚Feuerwerk‘.

Am Freitag wurden in diesem Match zwei Sessions gespielt. Eine am Vormittag, eine am Abend. Die zweite Session der Begegnung verlief ähnlich wie die erste. Beide spielten zwar etwas überlegter und bedächtiger als in ihren Partien zu vor, aber wenn sich der Hauch einer Chance zeigte, dann fragten sie nicht zweimal. Si Jiahui hatte in seinen Matches gegen Robert Milkins und Anthony McGill auch von einigen Fehlern seiner Kontrahenten profitiert. Das brauchte er hier nicht. Sein Breakbuilding war herausragend. Luca Brecel zeigte sich nach dem Verlust des ersten Frames der Session schon mehr genervt als notwendig, machte dann im Verlauf der Session kaum Fehler, auch weil er die meiste Zeit auf dem Stuhl verbringen musste. Nach zwei Sessions hatte Si Jiahui seinen Vorsprung auf 11–5 ausgebaut. Die Experten im Studio waren nicht sparsam mit Lob.

Sensationeller Kantersieg für Si Jiahui?

Am Abend ging das Match dann weiter, als wäre es nicht unterbrochen worden. Si Jiahui startete mit einer 90, einer 132 und einer 97 und ging so in Windeseile mit 14–5 in Führung. Ihm fehlten nur noch drei Frames zum Einzug ins WM-Finale. Etwas, woran vor der WM keine geglaubt hätte. Am wenigsten wohl er selbst, denn er habe wohl schon dreimal Flugtickets nach China gekauft, die aber stornieren müssen, weil er immer noch im Turnier dabei war. Zu diesem Zeitpunkt hatte Si Jiahui 94% Locherfolg und er ließ die langen Bälle aussehen, als wäre es das leichteste der Welt sie zu lochen. Hier findet ihr nur einen der unglaublichen langen Pots, die Si Jiahui ganz souverän versenkte.

Im vierten Frame des Abends spielte Brecel ein Century-Break und meldete damit an, dass er auch anwesend war. Die Frames waren so zügig und flüssig, dass Luca Brecel beinahe das Midsession Interval verpasst hätte. In der Pause schaute sich Luca Brecel zur Seltmotivation nochmal einen Schnelldurchlauf von seinem Kommzurück im Viertelfinale an. Vielleicht auch nicht, wir wissen es nicht. Er kam jedoch mit jeder Menge Selbstvertrauen wieder zurück an den Tisch, während in der Zwischenzeit leider jemand Si Jiahui verraten hatte, dass auch die Topprofis lange Einsteiger mal verschießen. Brecel startete also erneut ein Kommzurück, sodass gegen Ende der Session Si sogar ein bisschen seine Coolness verlor und etwas mehr Emotion zeigte, als nur sein übliches Kopf fallen lassen, wenn mal die Position im Break nicht ganz stimmte.

Die vierte Session war gerettet und versprach sogar noch etwas Spannung. Luca Brecel konnte seinen Rückstand auf immerhin 10–14 verkürzen. Im Matchverlauf musste sich das fast wie ein Vorsprung anfühlen.

Kommzurückspezialist Brecel meldet sich zum Dienst

Mit fünf Framesiegen in Folge im Rücken startete Luca Brecel in die entscheidende Session. Und genau dort machte er auch direkt weiter. Die erste Chance ging an Si Jiahui, mal wieder eingeleitet durch einen famosen langen Einsteiger. Doch nach ein paar Punkten verstellte er sich. Das anschließende Safetyduell entschied Luca Brecel für sich.

Auch im nächsten Frame konnte Si seine Chancen nicht nutzen, Brecel wusste das jedoch für sich auszunutzen. Frame 27 gewann er dann aus einer Chance heraus mit einer 81 nach langem Einsteiger. Innerhalb kürzester Zeit stand es 14–13. Der Frame vor der Pause war dann umkämpft. Auf die Farben wurden mehrere Safetyduelle ausgetragen, die meistens damit endeten, dass Brecel lochte oder verschoss. Das Gros der Punkte dabei holte jedoch der Belgier, sodass er bereits zum Midsession Interval den Ausgleich erzielte: nach sensationellen neun gewonnenen Frames in Folge.

Luca Brecel komplettiert rekordverdächtige Frame-Reihe zum Finaleinzug

Im Verlauf der letzten Session spürte man, wie die Anspannung auf beiden Seiten stieg. Das Snooker von beiden wurden bedächtiger, immer mehr Chancen wurden über Safeties ausgespielt. Und im Safety-Spiel war es in der Regel Luca Brecel, der die Überhand behielt. So erabeitete er sich nach der Pause eine Chance, die er für ein vorentscheidendes Break nutzen konnte. Plötzlich war er in Führung.

Dann fing das Nervenflattern an auf beiden Seiten. Im nächsten Frame hatte Si die erste Chance. Er verstellte sich, verschoss Schwarz als Rettungsball. Aber auch Brecel konnte die geschenkte Chance nicht nutzen und verschoss eine leichte Schwarze. Doch Si Jiahui kämpfte sehr stark mit den Nerven bzw. schien den Kampf schon verloren zu haben. Denn er verschoss die leichteste aller Blauen vom Spot. Dann stoppte Brecel das Fehlerfestival und spielte eine entscheidende 73. Das war inzwischen Frame Nummer 11 in Folge. Si Jiahui schien die Hoffnung aufgegeben zu haben. Was sich dadurch bemerkbar machte, dass er im nächsten Frame wieder ein hohes Break spielte, wie er es zu Beginn der Partie am laufenden Band gemacht hatte. So gelang ihm an einem bitteren Tag noch der Gewinn eines Ehrenframes.

Dank einer guten Safety und einem langen Einsteiger bekam Luca Brecel zu Beginn von Frame 32 eine Chance. Doch bei 44–0 verschoss er und für Si gab es die Chance zum Steal. Er lochte bis zur vorletzten Roten, konnte damit sogar die letzte Rote von der Bande lösen, aber hatte kein Glück mit der Stellung auf die nächste Farbe. Stattdessen legte er einen Snooker. Diesem konnte Brecel entkommen. Si Jiahui verschoss eine schwierige Rote und Brecel räumte ab. Damit machte er seinen Comeback-Sieg mit 17–15 perfekt.

Was für eine beeindruckende Art, seinen ersten Finaleinzug bei einer Weltmeisterschaft. Für Si Jiahui und seine neu gewonnenen Fans, vor allem aber auch für diejenigen Fans, die er schon länger hat, war der Verlauf des Matches natürlich eine sehr bittere Pille. Aber er kann jetzt endlich nach China fliegen und sich von Freunden und Familie für seinen tollen Lauf bei dieser WM feiern lassen.

Mark & Mark erst auf Neutralitätskurs mit leichtem Vorteil Allen

Ein völlig anderes Bild bot sich uns am anderen Tisch. Mark Selby und Mark Allen lieferten sich ein Armdrücken um jeden Punkt und spielten zur Freude einiger Fans lange taktische Duelle. Selby startete zwar mit einer 123 ins Match, die er aus einem Tisch entwickelte, der eigentlich nicht danach aussah. Aber das sollte für eine Weile das einzige Century bleiben. Doch am Ende der ersten Session hatte Allen einen guten Lauf und konnte mit 5–3 in die Pause gehen.

Wendepunkt für Selby in Session zwei

Auch den ersten Frame der zweiten Session entschied Allen für sich. Dann hatte er sogar die Gelegenheit, auf 7–3 davonzuziehen, aber Mark Selby erkämpfte sich – hintenliegend und schon Foulpunkte benötigend – diesen Frame noch auf Schwarz und lag plötzlich nur noch 4–6 zurück. Und er gewann auch die restlichen Frames der Session. Doch was ich hier so lax in einem Satz beschreibe, war in Wirklicheit ein so zähes, langwieriges Ringen um jeden Frame, sodass die Session schon nach fünf Frames beim Stand von 7–6 für Mark Selby zu Ende war.

So erbittert der Kampf um die Bälle und Punkte auch war, die Stimmung am Tisch war freundschaftlich und die beiden gaben uns genügend Gelegenheit zum Lachen. Wie zum Beispiel, als Allen Schiedsrichter Leo Scullion darum bat, die Bälle zurückzulegen, obwohl sie sich kaum bewegt hatten. Oder wie hier.

Selby mit starkem Start in die dritte Session

Im ersten Frame der Session kam Selby nach einem Fehler von Allen mit dem Hilfqueue ins Break, verschoss aber den Frameball. Das wurde symptomatisch für diese Session: die Nerven zeigten sich bei beiden, die taktischen Entscheidungen waren nicht immer optimal und ansonsten grundsolide Pots gingen plötzlich daneben, bei Allen hauptsächlich die langen Bälle. Doch Selby behielt zunächst die Kontrolle über das Match, während Allen seine Chancen großzügig verschenkte.

Selby holte sich den ersten Frame dann noch wegen eines Safety-Fehlers von Allen. Ebenso wie den zweiten, dieses Mal mit Century, dem zweiten des Matches. In Frame drei versuchte Selby einen offensiven Stoß mit einer Roten an der Bande entlang, der aber nicht fiel. Allen konnte den ersten Framegewinn verbuchen. Im letzten Frame vor der Pause wurde wieder Selbys Mut zum Angriff belohnt und es ging mit 10–7 für ihn ins Midsession Interval.

Das Momentum schwingt zurück

Die zweite Hälfte der Session war von einem nachlassenden Selby und einem auflebenden Allen geprägt. Im Frame nach der Pause verkürzte Allen auf 10–8. Allen hatte vorgelegt und dann ein Kommzurück von Selby abgewehrt. Ähnlich im nächsten Frame: Selby hätte nach Rückstand eine Respottet Black erzwingen können, weil Allen taktisch ungünstig den Spielball versenkt hatte. Doch Selby verschoss Blau, es stand 10–9. Im nächsten Frame legte Selby 65 Punkte vor, spielte dann aber safe auf den Frameball. Aus dem anschließenden Safety-Duell konnte Allen herankommen, verschoss aber Schwarz und gab den Frame auf. Den letzten Frame der Session konnte er aber noch für sich entscheiden und verkürzte den Abstand auf 10–11.

In der entscheidenden Session können heute Abend also noch bis zu zwölf Frames gespielt werden! Wir erwarten Marks Einzug ins Finale der WM nicht vor Mitternacht. Stellt den Kaffee bereit und passt auf eure Fingernägel auf. Es sieht aus, als würde das nachher mehr als ein Nervenkitzel werden.

Auf unserer Turnierseite findet ihr einen Überblick über alle Berichte sowie alle Spiele mit Zeiten und (Zwischen)Ergebnissen.

Century Club my ass …

Ach ja, und die leeren Sitze in der ersten Reihe bringen uns zum Weinen und machen andere neidisch. Der Century-Club, eine Erfindung vom angeblich in Ruhestand gegangenen Barry Hearn, ist ebenso wie vieles andere eine Idee, die an den Bedürfnissen der Menschen zugunsten der WST-Gewinnoptimierung völlig vorbeigeht. Die Leute, die für viel Geld diese Karten erstanden haben, schlürfen lieber Champagner in der Hospitality-Zone, anstatt die Spiele zu gucken. Dafür wurden die langjährigen Dauerkarteninhaber*innen von diesen Plätzen vertrieben. Und im Fernsehen sieht es einfach total blöd aus …

 

AutorIn: Målin

Målin mag Zahlen und Tabellen. Wenn sie gerade kein Snooker guckt, wirft sie wahrscheinlich einen Blick auf die Provisional Rankings. Ist durch Langeweile zum Snooker gekommen und weil sie schon in jungem Alter einen eigenen Fernseher im Kinderzimmer hatte. Neben Artikeln kümmert sich Målin bei SnookerPRO um die Spieler*innenprofile. Twitter: @esel_freund

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