Dramatische Bilder bei der Qualifikation zur WM 2023: Mark Davis spielte in der letzten Runde gegen Joe Perry nicht nur um den erneuten Einzug in die Endrunde, sondern auch um den Erhalt seiner Tourkarte. Die Partie endete auf herzzerreißende Weise: Davis verfehlte Pink zum Sieg und Perry räumte ab. Dieser vorletzte Ball beendete sowohl Mark Davis Hoffnungen auf einen Auftritt im Crucible Theatre wie auch seine 32 Jahre lange Profikarriere. So dachten wir jedenfalls. Dieser Kommentar erschien leicht gekürzt im Programmheft zum European Masters 2023.
Alljährlicher Kampf um den Tourverbleib
Mit der WM als letztem Turnier vor Ende der Saison sehen wir jedes Jahr wieder in der Qualifikation solche Dramen. Manche Spieler fallen währenddessen aus den Ranglistenplätzen, die den Tourverbleib garantieren, andere schaffen durch einen guten Lauf den Sprung in die Top 64 oder sichern sich die Tourkarte durch den Einzug in die Endrunde der WM.
Mal trifft es die Jungen, die Unerfahrenen, mal diejenigen, die auch nach mehreren Jahren auf der Tour nicht Fuß fassen können und manchmal trifft es Profis mit jahrzehntelangen Karrieren – wie in diesem Jahr Mark Davis. Er beendete die Saison auf Platz 68.
Q-School oder Ende der Karriere
Spieler wie Alan McManus oder Nigel Bond haben in der Vergangenheit direkt nach dem Verlust der Tourkarte ihr Karriereende bekanntgegeben. Andere wie Fergal O’Brien oder Rod Lawler haben sich über die Q-School erneut für die Tour qualifiziert.
2018 sagte Mark mir beim Paul Hunter Classic in Fürth, er würde nicht an der Q-School teilnehmen, sondern aufhören, wenn er seinen Tourplatz verlieren sollte. Damals stand er um den 40. Rang in der Liste. Doch am Tag nach seiner bitteren Niederlage antwortete er auf meine Frage, wie es weitergeht, schon nicht mehr so sicher: „Wenn du auf einem sicheren Platz in der Rangliste stehst, dann sagen sich Sachen manchmal einfach. Aber wenn du dann weiter abrutscht und die Realität, deine Tourkarte zu verlieren, dich einholt, dann ändern sich deine Gedanken dazu. Die Antwort ist, dass ich es noch nicht weiß. Ich werde die nächste Zeit nutzen, um darüber nachzudenken und mit meiner Familie, meinem Freundeskreis und meinem Coach darüber sprechen. Das Spiel kann einen Spieler mental stark belasten, und nach der letzten Nacht bin ich mir nicht sicher, ob ich das nach 32 Jahren noch einmal durchmachen will.”
Kontroverse „Invitational Tour Cards“
Es dauerte keine fünf Minuten, bis auf Twitter die ersten Leute forderten, Mark Davis solle eine Invitational Tourcard – eine sogenannte Einladungskarte für seine Verdienste im Sport – erhalten. Ich muss gestehen, dass ich hier hin- und hergerissen war.
Sicher gibt es immer wieder sogenannte Legenden, die diese Karte gut nutzen. Jimmy White durften wir dieses Jahr in Berlin in seinem vierten Frühling erleben. Er war mit seinem tollen Sieg im Tempodrom der erste Spieler über 60, der die Runde der letzten 16 in einem Ranglistenturnier erreichte – seit Eddie Charlton 1992. Er schaffte es mit der guten Leistung der Saison sogar, sich aus eigener Kraft wieder für die Tour zu qualifizieren.
Doch der 7-fache Weltmeister Stephen Hendry zum Beispiel nutzte seine Karte so gut wie gar nicht. Weshalb wir ihn hier in Nürnberg auch nicht sehen, denn er hat für das European Masters nicht mal gemeldet. Und letztes Jahr trat er lieber bei „The Masked Singer“ als singende Mülltone im Fernsehen auf, als an einem Snookerturnier wie den UK Championships teilzunehmen. Verständlich, denn irgendwo muss das Geld ja herkommen. Und so, wie er momentan spielt, verdient er das nicht auf der World Snooker Tour.
„Ehrentourkarte“ für Mark Davis?
So sehr ich Mark Davis eine Fortsetzung seiner Karriere oder wenigstens ein weniger dramatisches und enttäuschendes Karriereende gegönnt hätte, stellte sich mir die Frage nach den Kriterien dieser Einladungskarten. Wer hat sich genug um den Sport verdient gemacht, um eine zu bekommen? Seien wir ehrlich: WST vergibt diese Karten nur an die sogenannten Publikumsmagneten. Mark Davis steht trotz seiner 6-Reds- und Seniors-WM-Titel sicher nicht ganz oben auf dieser Liste.
Mark Davis selber antwortete auf die Frage, was er von einer Ehrentourkarte halten würde, eher ausweichend: „Ich denke, das hängt davon ab, was mit den suspendierten Spielern passiert. Wenn sie in der nächsten Saison nicht spielen dürfen, wäre es für mich die richtige Lösung, diese Plätze an die nächsten Spieler der Rangliste zu vergeben. Und da wäre ich sowieso dabei.“ Er sprach also nicht davon, eine Einladungskarte zu erhalten, sondern auf einen Rang vorzurücken, auf dem er seine Tourkarte gar nicht erst verlor. Und so kam es dann auch. Nachdem die jahrelangen Sperren für Yan Bingtao, Zhao Xintong und Lu Ning verhängt waren, wurden die Tourplätze für die Saison 2023/2024 um die Ränge 65 bis 68 erweitert. Damit hatte sich die Diskussion um eine Einladungskarte für Davis erledigt.
Mark zeigte sich sehr dankbar und erleichtert, als er kurz vor der Seniors-WM davon erfuhr. Doch wie ich ihn kenne, wird er sein Karriereende nun konkreter ins Auge fassen. Denn im Grunde ist er mit seinem Werdegang zufrieden, auch wenn es ihn schmerzt, nie einen Ranglistentitel gewonnen zu haben. Für Menschen wie ihn ist die World Seniors Tour eine gute Möglichkeit, die Karriere ausklingen zu lassen, ohne sich ganz vom Rampenlicht verabschieden zu müssen.
Die Zukunft liegt bei den jungen Aktiven
Auch wenn Mark Davis jetzt doch auf der Tour bleibt und sich vielleicht am Ende der Saison wieder aus eigener Kraft qualifiziert, ist er mit seinen 50 Jahren sicher nicht die Zukunft des Sports. Natürlich bin ich als Fan von ihm überglücklich, ihn weiterhin sehen zu können. Und ihn nach gelungener Qualifikation hier in Nürnberg mal wieder persönlich zu treffen. Aber als Snooker-Fan an sich könnte ich einen solchen Abschied auch begrüßen.
Denn es wird der Tag kommen, an dem sich die „Klasse von 92“ (Mark Williams, John Higgins und Ronnie O’Sullivan) verabschiedet. Und diejenigen wie Mark Selby und Neil Robertson, die in ihre Fußstapfen treten, sind auch schon um die 40, Judd Trump schon Mitte 30. Wir brauchen neue, frische Top-Stars, die höchstes Niveau bieten.
Die WM hat gezeigt, dass die übernächste Generation nicht mehr nur in den Startlöchern steht, sondern schon auf der Zielgeraden oder darüber hinaus ist. Weltmeister Brecel zählt trotz seiner 28 Jahre noch zu den jungen Aktiven. Aber mit noch größerer Freude habe ich den 20-jährigen Si Jiahui dieses Jahr im WM-Halbfinale gesehen.
Wir „alten“ Leute müssen uns daran gewöhnen, dass eine Person jung ist, wenn sie ein 2000er Geburtsdatum hat. Unsere Aufgabe in den kommenden Jahren wird es sein, dieser Generation die Bühne zu bieten, das Scheinwerferlicht auf sie zu richten und uns langsam von unseren liebgewonnenen, altbekannten Gesichtern und Geschichten zu verabschieden. Nur so können wir die Lücke füllen, die die Legenden hinterlassen werden. Das scheint mir nicht nur fair, sondern auch notwendig für die Zukunft des Sports.
Endgültiger Abschied von der Dark Mavis Lady
Mark-Davis-Fan zu sein, spielt sich meist abseits der großen Bühnen ab. Es ist das Schicksal des Zuschauens an Außentischen, der Jagd nach China-Streams (in Ermangelung von Übertragungen seiner Spiele im Fernsehen oder wenigstens an offiziell gestreamten Tischen). Doch 2015 spielte er in Runde eins des German Masters gegen Ronald O’Sullivan – natürlich am TV-Tisch! Damals machte mich mein Fernsehauftritt als „Dark Mavis Lady“ bekannt. Seitdem ist viel passiert. Unter anderem haderte ich lange mit meiner Genderidentität als Frau, sodass mir die Lady nicht mehr passend scheint. Deshalb habe ich beschlossen, dass damit jetzt Schluss ist und diese Saison die Abschiedstour der Dark Mavis Lady sein wird. Aber vielleicht kommt sie ja – wie so manch andere – doch wieder zurück.
Hier ist der passende Soundtrack zu meinem emotionalen Zustand.
Bei Mark Davis hatte ich auch Mitleid gehegt, dass er in einem guten WM-Qualifikationsspiel im ersten Augenblick Doppeltribut bezahlen sollte (Main-Tour-Tür zu, WM-Chance verpasst). Der Spielübertragung hatte ich auch vor dem Strahlengerät der Unterhaltung beigewohnt.
Da sich allerdings die Querelen im Bereich des zu sperrenden Spieler-Wettsündikats [sic] weiterhin ungeklärt in die Länge gezogen haben und sie (die Sünder) aber schon emulgiert und suspendiert waren, kam mir die Nachrutschlösung schon recht früh intuitiv in den Sinn, da die Beschuldigungen sehr erhärtet schienen und kein nachvollziehbarer Grund zu erkennen war, dass die regelkonformen Spieler darunter leiden müssen.
Die getroffene Regelung (nicht nur zugunsten von Mark Davis, es hat sich ja deswegen auch noch einiges in der 1-Jahresliste getan) hat sicherlich nicht nur den Spielern, sondern auch den Zuschauen gut gefallen, da sie manigfaltige Probleme mit einem Schlag behoben hat.