Macau Snooker Streit: Moderne Sklaverei oder Gier der Stars?

Macao Snooker Masters: Poster mit Selby, Carter, Day, Ding, Un-Nooh und Brecel
Die Abtrünnigen Brecel, Selby, Un-Nooh, Carter, Day und Higgins.

Über die Teilnahme am Macau Snooker Masters ist eine hitzige Kontroverse zwischen einigen Spielern und WST entbrannt. Alle Welt diskutiert mit und wir wollen dem nicht nachstehen. Målin und Lula diskutieren ihre Standpunkte.

Ein Anlass, der nicht überraschend kommt

Momentan geht es auf der Tour Schlag auf Schlag. British Open, English Open, Wuhan Open – und dazwischen quasi nur Stunden. Keine Zeit zum Ausruhen, zum Nachhausefahren. Wir haben übermüdete Aktive gesehen, die am Tisch dann auch dementsprechend erfolglos agiert haben. Und mit den Turnieren in China kommt auch noch die Distanz hinzu: Der Flug UK-Wuhan dauert im Schnitt 14 Stunden plus eine Zeitverschiebung von 6-7 Stunden. Da brauchst du, wenn du im Halbfinale oder Finale standst, schon eine Zeitmaschine, um von einem Turnier zum anderen zu kommen.

Nun gibt es dieses Einladungsturnier außerhalb der World Snooker Tour, das zeitlich mit den Northern Ireland Open kollidiert. Weltmeister Luca Brecel, Mark Selby, John Higgins, Ali Carter, Ryan Day und Thepchaiya Un-Nooh lassen das Turnier im Norden Irlands ausfallen und spielen stattdessen in Macau. World Snooker Tours war damit nicht einverstanden und hat den Spielern böse Briefe geschickt und ihnen mit Strafen gedroht. O’Sullivan, Judd Trump, Mark Williams, Jack Lisowski und Ding Junhui planen eine ähnliche Aktion während der Qualifikation zu den NI Open.

Ist es in Ordnung, was die Spieler vorhaben? Oder sind sie einfach gierig? Ist die Kritik von World Snooker Tour berechtigt? Oder behandeln sie die Aktiven auf der Tour wie moderne Arbeitssklaven?

Was ist erlaubt? Was ist nur ungern gesehen?

Lula: Für mich ist eine wichtige Frage, was in den Verträgen steht. Ist es explizit verboten, an anderen Turnieren teilzunehmen, während ein WST-Event läuft? Falls das nicht der Fall ist, kann WST die Entscheidung der Aktiven zwar blöd finden, ihnen aber nicht mit Strafen drohen. Dann wird es zu einer moralischen Entscheidung.

Målin: Was in den Verträgen steht, weiß ich nicht und ist mir auch erstmal egal. Aber ich finde die „abtrünnigen“ Profis machen es sich da leicht. Wenn man das Preisgeld für die 64 Gewinnenden der ersten Runde eines normalen Ranglistenturniers spart, könnte man damit schon ein ganz solides Antrittsgeld für nur die Top 8 der Welt finanzieren. Mit weniger Teilnehmenden hat man sicherlich auch weniger Ausgaben, aber dank der Topstars bestimmt keine Probleme beim Ticketverkauf. Das könnten die WST und WPBSA auch machen und das machen sie bei Einladungsturnieren ja auch.

Aber zu einem großen globalen Sportzirkus gehören mehr als nur acht Leute. Es gibt eine große Tour, es gibt Snookernachwuchs und die Topstars sind für die großen Ranglistenturniere eben die Zugpferde. Sie haben sich einen Namen in dem Sport gemacht, der ihnen die Möglichkeit gibt lukrative Exhibitions zu spielen. Diese dann aber statt der WST Turniere zu spielen? Ich sehe sie moralisch da schon in der Verantwortung dem Sport, der sie groß gemacht hat, etwas zurückzugeben.

Lula: Ich verstehe deinen Punkt. Aber der Snookernachwuchs ist in meinen Augen hauptsächlich die Aufgabe der Institutionen WPBSA/WST und nicht einzelner Aktiver. Diese haben sich mühselig (oft mit Nebenjobs oder dem Ersparten ihrer Verwandten) hochgearbeitet und jetzt, wo sie gut verdienen, sollen sie sich solidarisch zeigen. Ich verstehe, dass sie darauf nicht unbedingt Bock haben.

Und ich finde die Vertragsfrage schon wichtig. Wenn die Betreffenden gar nichts Unerlaubtes machen, dann sieht es aber sehr schlecht aus, wenn World Snooker Tour ihnen droht. Erstmal sollten sie also zusehen, dass sie die Verträge so transparent und klar machen, damit solche hässlichen Auseinandersetzungen vermieden werden. Und dann sollten sie auch Bedingungen bieten, mit denen die Leute sich wohlfühlen, wenn WSTs Business darauf angewiesen ist, dass die sich engagieren. Da scheint schon lange sehr viel im Argen zu liegen.

Ist der Saisonkalender zu leer oder zu voll?

Målin: Bei vielen Turnieren sind kurze Abstände nicht zu vermeiden. Turniere besser zu gruppieren, also zum Beispiel zwei Turniere in Asien in Folge, wäre sicherlich wünschenswert, aber ist das denn auch immer möglich? Je voller etwas gepackt ist, desto schwieriger fällt auch eine sinnvolle Anordnung. Wie wenn ich Koffer packe: Am Anfang ist da noch ein Plan, am Ende wird alles reingestopft. Es zählt, das alles Wichtige drin ist.

Lula: Aber viel ist nicht immer gut. Wenn es auf der einen Seite für die Top-Stars gar nicht zu schaffen ist und auf der anderen Seite es nicht viele Gelegenheiten für die unteren Ränge gibt, dann ist das schlecht. Und wenn das Entzerren aus guten Gründen nicht möglich wäre, würde ich es akzeptieren. Aber so wie ich WST erlebe, glaube ich nicht an eine gute, durchdachte, vorausschauende Planung. Wenn sie die Turniere genauso planen wie das Livescoring, dann hat das Ganze weder Hand noch Fuß, sondern ist einfach mit der heißen Nadel gestrickt. Und zwar auf Kosten der Aktiven.

Hier müsste sich etwas ändern: Ein Jahresplan am Anfang der Saison, an dem sich die Aktiven orientieren und ihre eigene Planung machen können. Der sollte dann Phasen mit Turnieren in Europa und welche auf anderen Kontinenten haben oder wenigstens genug Luft dazwischen. Und weg mit der Quali in UK für asiatische Turniere.

Sollten sich die Aktiven nicht mal ne Pause gönnen können?

Lula: Ich denke übrigens, dass es hier nicht nur ums Geld geht, sondern auch darum, den Stress zu verringern. Wer kann es den Spielern verdenken, dass sie zwischen den Wuhan und International Open nicht wieder nach Europa zurückreisen wollen, sondern lieber in der Zeitzone bleiben, um wenigstens beim zweiten Turnier einigermaßen fit zu sein?

Målin: Klar. Viele Turniere heißt, die Topstars können sich zum Auftanken auch mal ne Pause gönnen und nicht alles spielen. Eine Auswahl treffen. Mal nen schönen Familienurlaub machen, zur Hochzeit der Cousine gehen, zwischen den Reisen seinen Kindern mal bei den Hausaufgaben helfen. Schwierig wird es dann, wenn sich alle Topstars beim selben Turnier eine Pause gönnen. Nach Deutschland fliegen? Viel Reisestress für kleines Preisgeld? Wenn die Hälfte der Top 16 ihren Familienurlaub extra zur Zeit des German Masters plant, würden wir uns doch sehr ärgern, oder?

Lula: Das passiert ja jetzt schon. In Berlin oder Nürnberg/Fürth sind oft die Top-Leute nicht anwesend. Ich sehe es als Chance, auch anderen eine Bühne zu bieten und eher unbekanntere Titelgewinner*innen zu sehen. Das würde auch das Problem entzerren, wenn die Klasse von ’92 aufhört. Natürlich wäre es auch nötig, die riesigen Preisgeldunterschiede anzugleichen oder die Rangliste anders zu gestalten. Dann wären die Top-Spieler bald nicht mehr Top, wenn sie zu viele Turniere ’schwänzen‘.

Målin: Ja, die WST macht viel zu wenig, um auch mal Leute aus der zweiten Reihe zu promoten. Über nichts ärgere ich mich mehr. Aber ich denke die Mischung macht’s. Für Ronald kommen und für Jiahui bleiben. So ähnlich war es bei mir damals auch. Und Zhang Anda, Ben Mertens oder He Guoqiang sei es ja auch gegönnt, die Topstars zu schlagen und nicht nur in deren Abwesenheit zu glänzen.

Reden wir miteinander!

Målin: Aber um den Stress für die Topstars rauszunehmen, die oft bis in die letzten Runden eines Turniers dabei sind und dann ohne Pause beim nächsten in der ersten Runde (oder sogar einem verschobenen Qualifikationsspiel) antreten müssen, gäbe es ja noch andere Lösungen.

Bei den English Open haben bei Eurosport Alan McManus und Jimmy White mit John Higgins in dem Zusammenhang über eine mögliche Rückkehr zu einem ‚tiered draw‘ diskutiert, bei der die Besten der Weltrangliste in späteren Turnierrunden gesetzt sind. Laut ihnen eine populäre Meinung unter allen Aktiven. Bezeichnend dabei war allerdings Higgins‘ sehr resolutes „No!“ auf Rachel Caseys Frage, ob er den Eindruck habe, dass die Spielenden eine Stimme hätten.

Lula: Genau das ist eins der Probleme. Snookerprofis sind ja quasi Selbständige und tragen ein großes Risiko. Das wird zwar durch den neuen „Mindestlohn“ abgeschwächt, aber die Profis sind zudem extrem abhängig von WST (würde bei uns als Scheinselbständigkeit gelten). Und durch die Art und Weise, wie WST sich durchsetzt, ohne auf die Betroffenen zu hören, fühlen sich viele bevormundet. Ich finde es deshalb völlig in Ordnung, dass die Spieler sich jetzt für ihre Interessen einsetzen und den Druck an WST zurückgeben. Das ist ein Alarmsignal.

Ich sehe jetzt tatsächlich langsam die Gefahr, dass sich quasi von selbst so eine Breakaway-Tour etabliert, wie O’Sullivan sie schon mal vorgeschlagen hat. Spieler wie Harvey Chandler und Michael Georgiou haben sich schon anders orientiert, weil sie sich auf der Tour ungerecht behandelt und nicht gehört fühlen. Ich kann mir vorstellen, dass mehr Leute ihnen folgen. WST sollte sich vorsehen. Wenn sie ihr Monopol durch ihr diktatorisches Verhalten ruiniert haben, indem sie die Aktiven woanders hintreiben, dann stehen sie da und haben nix mehr, womit sie Geld verdienen können.

Målin: Es könnten jedenfalls turbulente Zeiten bevorstehen. In Hector Nunns‘ Artikel wird ja auch dezent die Möglichkeit eines Boykott des Masters angedeutet. John Higgins antwortete nicht nur mit Nein, auf die Frage, ob die Aktiven eine Stimme hätte, sondern schob nach: „Jetzt nicht, aber in einem halben Jahr könnte sich das auch ändern.“ So richtig kann ich nicht abschätzen, worauf diese Rangelei hinausläuft. Wir werden wohl abwarten müssen.

AutorIn: Lula Witzescher

Lula Witzescher (genderqueer), im Netz auch bekannt als Dark Mavis *Lady*. Sucht für den Roman „Belinda to break“ einen Verlag. Streitet im Netz für alle Formen von equality. Hält die Butthole Surfers für die beste Band der Welt. www.twitter.com/lulawitzescher

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3 Gedanken zu „Macau Snooker Streit: Moderne Sklaverei oder Gier der Stars?

  1. Bernd Kiesewetter

    Ich finde , man sollte das entspannt sehen. Die WSE sitzt halt auf dem ganz hohen Ross (vermeintlich). Der Reisestress ist ja nicht zu unterschätzen, und wie man bei Selby ( und anderen) gesehen hat, ist man halt nach einem durchlaufenen Turnier doch mental etwas angegriffen. Die besseren Tourprofis können es sich durchaus leisten, mal ein Turnier auszulassen. Das eröffnet aber auch den Anderen bessere Chancen.Unter den besten 100 der Weltrangliste kann ( wie wir wissen) jeder jeden schlagen, je nach Tagesform. Und mal ehrlich, diese Tourplanung ist ja teilweise nicht im Interesse der Sportler. Dan kann man doch mal die Saison früher beginnen lassen. Klar ist das für die Zuschauer-. und Einschaltquoten nicht so schön,aber die etwas jüngeren Profis haben da bessere Chancen, wenn o“ Sullivan und Co noch in der karibischen Sonne liegen.

  2. Lula Witzescher Artikelautor

    WST hat das leider nicht so entspannt gesehen. Auf deren Druck ist die Exhibition in Macau verschoben, auf den 23./24. Dezember. Die betreffenden Profis sind also jetzt bei den Northern Ireland Open trotzdem nicht dabei und womöglich auch nicht beim German Masters, weil sie – wenn sie kein Held-Over-Match haben – dann die Qualifikation verpassen. Sozusagen eine Lose-Lose-Situation für alle Beteiligten.

  3. der beste Dichter der Welt

    Ich möchte meine Einschätzung hierzu ebenso einbringen:
    1. Mir liegen diese Verträge nicht vor, daher weiß ich nicht explizit, was vereinbart wird und wurde.
    2. Da es sich hier um eine Art zivilrechtliche Regelung zwischen Organisation und den Spielern handeln dürfte, können Strafen / Vertragsstrafen lediglich verhängt werden, wenn diese auch so vereinbart wurden und diese Regelungen nicht sittenwidrig sind. Selbstverständlich sind die juristischen Spitzfindigkeiten abhängig von dem Rechtskreis, in dem die Vertragspartner eingeschlossen sind.
    3. Die Turniere müssen finanziert werden. Es handelt sich dabei um nicht unerhebliche Summen und wirtschaftliche Risiken. Ein Geldtopf ist der Verkauf von Zuschauertickets. Die Ticketpreishöhe (rundenabhängig) wird auch maßgeblich von der Attraktivität der Teilnehmer beeinflusst. Daher ist das für die Veranstalterseite wichtig, dass auch in den frühen Runden große Namen auftauchen.
    4. Konkurrenz belebt zwar das Geschäft, steigert aber die Risiken der wirtschaftlich Verantwortlichen erheblich. Es profitieren durch mehr Angebot (durch konkurrierende Veranstalter) die Spieler und die Zuschauer.
    5. Es gibt auch Mitesser im Geschäft.
    6. Die Streitereien erzeugen Schlagzeilen. Wie wir alle wissen, müssen Schlagzeilen nicht immer positiv sein. Spektakuläre emotionale Schlagzeilen und Spannungen im Geschäft erhöhen den Reiz beim Publikum.
    7. Macht erfolgt durch Kontrolle. Ein Machtinstrument ist die vertragliche Verpflichtung.
    8. Die Gier nach mehr (Turnieren) bringt zwangsläufig auch mehr Geld in die Kasse. Wirtschaft verlangt nach Wachstum (buchhalterisch).
    9. Der Snooker-Zirkus ist für die einen (Publikum) Entertainment, für die anderen (Spieler und Organisatoren) knallhartes Geschäft.
    Anhand diese exemplarischen Punkte möge jeder die Qualität der Ereignisse messen und begreifen lernen.

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