Mit Blut, Schweiß und Tränen ins WM-Finale

Kyren Wilson und Ronnie O’Sullivan stehen im WM-Finale. Zum ersten Mal in der Geschichte gingen beide Halbfinale in den Entscheidungsframe. Am Ende waren Anthony McGill und Mark Selby die enttäuschten Verlierer zweier Matches voller Twists & Turns und einer Menge Drama.

Das Unbeschreibliche beschreiben?

Ein Kollege bringt die Sache auf den Punkt: … einer der bizarresten, dramatischsten und verrücktesten Tage der Snookergeschichte … Viel Glück an die Journalist*innen, die versuchen zusammenzufassen, was passiert ist. Und ich werde es gar nicht erst versuchen.

Wer Spielberichte haben möchte, muss sich heute mal an andere Medien wenden. Eurosport zum Beispiel oder  Sky (auf Englisch). Ich habe in diesem emotionalen Taumel einfach alle Einzelheiten vergessen. Vielleicht wollt ihr euch auch einfach selber eine Meinung bilden und euch die Entscheidungsframes von Wilson-McGill und Selby-O’Sullivan selber angucken.

Kyren Wilson: Der Gewinner in Tränen

Wilsons Weg ins Finale führte in einem einstündigen Entscheidungs-Frame mit acht Foul & Misses durch McGill letztendlich über einen unglaublichen Fluke, als er Grün über drei Banden versehentlich versenkte. Es war ihm anzusehen, dass er in diesem Augenblick mehr Mitgefühl mit Anthony McGill hatte, als dass er sich über seinen Vorteil freuen konnte. Er hatte ganz offensichtlich Probleme, sich auf die letzten Bälle zu konzentrieren und war kurz davor, zusammenzubrechen. Im anschließenden BBC-Interview konnte er die Tränen nicht mehr zurückhalten. Als er zu Eurosport ins Studio kam, hatte er sich schon wieder etwas beruhigt und konnte das Drama Revue passieren lassen.

Für McGill muss diese Niederlage sehr weh tun. Er hat hier wirklich großartig gespielt, hat gut vorgelegt, hat Wilsons Kommzurück weggesteckt und gekontert, ist kurz vor Schluss in Führung gegangen … und steht am Ende doch mit leeren Händen da. Ob er hier nützliche Erfahrungen gesammelt hat oder für’s Leben traumatisiert wurde, das werden wir bei der nächsten Gelegenheit sehen.

Durchwachsenes am Abend

Sowohl Mark Selby wie auch Ronnie O’Sullivan zeigten am Abend Nerven. Das spielerische Niveau war nicht annähernd so hoch wie im anderen Halbfinale. Aber O’Sullivan sorgte dennoch für genug Gesprächsstoff mit seiner fragwürdigen Schuss-Auswahl und einigen lächerlichen Hit-and-Hopes. Während Selby einfach solide weiterspielte und versuchte, die Konzentration zu halten.

Von lächerlich zu genial

Ken Doherty bezeichnete O’Sullivans Spiel als „from ridiculous to sublime“. Einige wirklich fragwürdige Aktionen legten den Verdacht nahe, dass O’Sullivan hier nicht nur die Nerven, sondern auch die Lust verlor, das Spiel zu gewinnen. Doch direkt danach legte er wieder ein konzentriertes Lochspiel an den Tag, dass allen – besonders aber Mark Selby – Hören und Sehen verging. Der empfand O’Sullivans Eskapaden ‚respektlos‘, was ich durchaus nachvollziehen kann. Es konnte durchaus so wirken, dass O’Sullivan die Sache nicht ernst nahm. Allerdings denke ich persönlich, dass das nur eine von vielen möglichen Interpretationen ist. Denn ich glaube kaum, dass O’Sullivan sich hier vier Runden reinkniet, um die Sache dann kurz vor Schluss einfach zu verdödeln.

Coping-Strategien

So wie Mark ‚Jester‘ Selby früher nicht rumgealbert hat, weil er so ein lustiger Mensch ist, sondern weil er damit seine Unsicherheit überspielt hat, so spielt auch O’Sullivan nicht solche Stöße, nur weil er keinen Bock hat oder wie er hinterher behauptete, weil er keinen anderen Weg aus einem Snooker weiß. Selby müsste das eigentlich besser wissen, wo ihm doch immer vorgeworfen wird, er würde das Spiel der anderen kaputt machen. Was ja genau so ein Unfug ist.

Ist es nicht ein bisschen seltsam, dass hier knallhart um riesige Geldsummen gespielt wird und dann wird dauernd so ein Moralkodex beschworen? Es ist doch zu spüren, unter welchem Druck die Spieler stehen und ich sehe einfach in diesen „Spielarten“ die verschiedenen Wege, mit diesem Druck umzugehen. Ob das nun Bälle durch die Gegend knallen, Bälle an die Bande kullern oder minutenlanges Anstarren des Tisches ist … das alles sind Coping-Strategien und ich fände es schön, wenn die Spieler sich nicht auch noch gegenseitig dafür kritisieren würden. Und natürlich spielen sie alle auch ‚Mind Games‘. Wenn sie das nicht tun würden, wären sie nicht da, wo sie sind.

WM-Finale mit Überraschung? Welche Überraschung?

O’Sullivan gab am Ende mal wieder eins seiner berühmten Nonsense-Interviews. Trinkspiele auf „Cue Action“ sind nicht empfehlenswert, wenn ihr vom Finale etwas mitbekommen wollt. Das geht um 14:30 Uhr los, um 20 Uhr geht’s weiter. Am Sonntag werden die Sessions drei und vier zu denselben Zeiten gespielt. Auf Eurosport wird alles übertragen.

Damit habe ich mit meiner Vorschau ausnahmsweise mal ganz gut gelegen. Ob ich so vermessen sein sollte und für das Finale auch einen Tipp abgeben sollte? Ich denke, Wilson hat die spielerische und mentale Stärke, um hier gewinnen zu können, allerdings ist es sein erstes WM-Finale. O’Sullivan, mit seinem siebten WM-Finale, hat einen großen Erfahrungsvorsprung, aber auch ein instabiles Nervenkostüm. Seit dem Finale 2014 ist er einem sechsten Titel nicht mehr so nahe gekommen wie heute. Ob er das Durchhaltevermögen aufbringt und genug Frustrationstoleranz an den Tag legt, um dieses Ziel zu erreichen, wie ich letztens prognostizierte? Ich weiß es nicht. Aber nach dem heutigen Auftritt würde mich das schon fast überraschen.

AutorIn: Lula Witzescher

Lula Witzescher (genderqueer), im Netz auch bekannt als Dark Mavis *Lady*. Sucht für den Roman „Belinda to break“ einen Verlag. Streitet im Netz für alle Formen von equality. Hält die Butthole Surfers für die beste Band der Welt. www.twitter.com/lulawitzescher

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2 Gedanken zu „Mit Blut, Schweiß und Tränen ins WM-Finale

  1. Fan

    Ronnie wird sich wie bei jedem Spiel in der WM am Ende klar werden das er was tun muß, HOFFENTLICH.
    Ronnie jetzt mal ganz persönlich, du bist mir sehr sympahtisch, nicht nur, weil du 3 Tage nach mir Geburtstag hast. Es tut mir weh, wenn du oftmals nicht bei der Sache bist, denn Du kannst jeden schlagen im Snooker. Reiß dich heute zusammen und hole dir deinen sechsten Titel, ok ?? Keiner hat so ein Ballgefühl wie Du !

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