In zwei superspannenden Semifinals setzten sich die buchstäblich „alten Hasen“ durch. Mark Williams und John Higgins spielen seit Sonntag Nachmittag das Finale der diesjährigen Weltmeisterschaft aus als sei es die von vor zwanzig Jahren.
Eine gute Gelegenheit, um alle möglichen Superlative und Rekorde rauszuholen: sechs WM-Titel am Tisch, elf Finalteilnahmen, die längste Zeitspanne zwischen zwei Finalteilnahmen, der älteste Spieler im Finale, der älteste Weltmeister, seit in grauer Vorzeit undsoweiterundsofort. Das werden wir heute und morgen noch bis zum Abwinken im TV-Kommentar hören.
Das Match könnte auch das Finale der Senioren-WM sein. ? #147sf
— Sylvia Moeller? (@laptopjunkie) May 6, 2018
Spätstart für Higgins
Higgins war anfangs etwas nervös und fand nicht wirklich ins Spiel. Williams agierte in den etwas zerfahrenen Frames glücklicher und stürmte mit 4–0 in die Pause. Nach dem Midsessioninterval holte Higgins sich mit einem 119er Break seinen ersten Frame und stoppte damit Williams Lauf. Doch der ließ sich nicht irritieren und legte zum 5–1 nach. Die letzen beiden Frames der Session holte sich allerdings wieder John Higgins, dem das Century und das 3–1 der Minisession vielleicht die nötige Sicherheit für einen souveräneren Auftritt in der nächsten Session vermittelt. Doch bisher waren Safety, Locherfolg und Glück eher auf der anderen Seite zu finden.
Die meiste Aufmerksamkeit erregte am Nachmittag übrigens Mark Williams abseits des Tisches. Offensichtlich ausgehungert (trotz eines ausgiebigen Kebab-Essens nachts um zwei), ließ er sich von dem bekanntesten Fan des Crucible Theatre mit Süßigkeiten versorgen. (Von Brian mit dem – jetzt verbotenen – Coventry Shirt).
The winning diet of @markwil147…#ilovesnooker @Betfred pic.twitter.com/UtImNcLWQ9
— World Snooker (@WorldSnooker1) May 6, 2018
Abends startete Williams mit einem 72er Break in die Session, bevor Higgins mit Hilfe einer 127 und einer 117 zum 7–7 ausglich. Doch die nächsten Frames gingen durch Breaks von 118 und 64 auf Williams Konto. Und auch den letzten Frame der Session zum 10–7 erkämpfte sich der „hungrige Willo“.
Die Hoffnung einiger Fans, dass das Ganze hier eine knappe Angelegenheit wird, bestätigt die statistisch fundierte Prognose von Cuetracker. Auf dem Papier ist das bestimmt berechtigt, aber der bisherige Verlauf weist nicht unbedingt auf eine nachmitternächtliche Decider-Entscheidung am frühen Dienstag hin. Doch die Schotten haben bekanntlicherweise ja einige Terrierqualitäten und ersetzen mangelnde Virtuosität notfalls schon mal durch Kampfgeist. Drei Frames Vorsprung sind zwar eine feine Sache, aber wie die Geschichte des Crucible Theatre zeigt, definitiv zu früh für Mark Williams, für die Siegesfeier einen Tisch bei Nando’s zu reservieren.
Der Weg ins Finale
Barry Hawkins sah im Halbfinale gegen Mark Williams lange wie der vermeintliche Sieger aus. Er lag die meiste Zeit des Spiels in Führung und bewies wieder seine bekannte „Crucibility“ – seine Fähigkeit, bei den WMs der letzten Jahre eine konstant gute Leistung abzuliefern. (Was sich zumindest auf seine Platzierungen bezieht, denn zugegebenerweise hat er hier auch schon echt grausame Spiele abgeliefert!) In diesem hochklassigen und unterhaltsamen Spiel musste er sich am Ende aber doch mit mehreren taktischen Frames von Williams abfangen lassen.
Kyren Wilson lief die ganze Zeit der Führung von John Higgins hinterher und schaffte es trotz vieler guter Breaks und dreier Centuries nicht, den Rückstand aufzuholen. Er verlor etwas deutlicher mit 13-17, was die Qualität seines Spiel aber nicht abwerten soll.
Wo sind eigentlich die jungen Spieler geblieben?
Meine „Warum [hier Spielernamen einsetzen] nicht die WM gewinnt“-Serie habe ich ja mit Judd Trump eröffnet und er hat meine Prognose liebenswerterweise prompt bestätigt. Wenn auch mit einer extrem knappen Niederlage gegen den späteren Finalisten Higgins. Ich wollte die Reihe eigentlich mit Ding Junhui weiterführen. Doch der hat mir nicht den Gefallen getan, sich wenigstens bis nach meinem Artikel im Turnier zu halten. In seinem Fall bin ich sowieso ein bisschen ratlos. Zwar würde ich fast immer darauf wetten, dass er, wenn es drauf ankommt, sein unbestritten großes Können nicht an den Tisch bringt. Aber ob es die Last der Erwartung einer riesigen Fan-Gemeinde ist, ein schwaches Selbstbewusstsein oder Nervenkostüm, eine schlechte Kondition oder eine tiefsitzende Abneigung gegen das Crucible Theatre – ich habe keine Ahnung, was diesen Kerl davon abhält, hier einmal richtig aufzutrumpfen.
Heute Nachmittag fragten sich dann auch die Eurosport-Experten, wo eigentlich die vielbeschworenen – mehr oder weniger jungen – Talente abgeblieben sind. Vor der WM wurden viele Namen in den Raum gestellt, doch konnten nur wenige hier eine Duftmarke setzen. Am ehesten vielleicht noch Lü Haotian oder Chris Wakelin. Kyren Wilson hat sich von allen noch am besten geschlagen und wenn er seine Furchtlosigkeit nicht so schnell ablegt, dann hat er in meinem Augen keine schlechten Chancen, hier demnächst den Titel zu holen.
Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass auch ein Ronnie O’Sullivan – gemessen an den Erwartungen – mit seinem Titel recht spät dran war. Von Mark Selby mal ganz zu schweigen. Und doch zeigt das steigende Durchschnittsalter an der Weltspitze und das zunehmende Alter der Titelgewinner entweder, dass Erfahrung ein wichtigerer Faktor als früher ist. Oder es zeigt, dass der Nachwuchs dünner und schwächer wird.
Ich würde gar nicht einmal sagen, dass der Nachwuchs schwächer wird. Ich glaube eher, das Gegenteil ist dafür verantwortlich. Zu viele recht gute, junge Spieler nehmen sich sozusagen gegenseitig die Butter vom Brot. Auch der „Mittelstand der Snookerszene“ hat eine andere Qualität. Ein Judd Trump hätte, wäre er um die Jahrhundertwende da gewesen, wo er heute ist, den Titel vermutlich schon gewonnen. Ein Neil Robertson wäre – ungeachtet der für seine Verhältnisse meist durchwachsenen, teilweise grausamen – Spiele mit den entsprechenden Resultaten noch vor zehn Jahren nicht aus dem Masters geschliddert. Die berühmt-berüchtigte „Klasse von 1992“ konnte sich in (relativer) Ruhe entwickeln, weil nur wenige Spieler am Tisch waren, die Spiele mit Qualität abliefern konnten, konnten in derselben Ruhe reifen, weil Snooker Mitte der 2000er am Boden war und nur wenig Nachwuchs anlockte (da haben wir natürlich den von dir beschriebenen dünnen Nachwuchs) und schauen jetzt als „alte Platzhirsche“ dem allzu nassforschen Junggemüse, dem die Geduld zum Sicherheitsspiel abgeht, entspannt zu, um sie dann in die Schranken zu weisen.
Wer war denn da, als die Klasse von 1992 hoch kam? Im Grunde waren es nur Steve Davis (und der auch nicht mehr in seiner Hochform), Stephen Hendry und Jimmy White, diejenigen, die zum 2000 noch dagegen halten konnten. Danach gab es dann den Schub der „wilden, aber lernfähigen Draufgänger“, die auch jede Menge erreicht haben: Mark Selby, Neil Robertson, Shaun Murphy, Ding Junhui, Mark Allen. Wenn man bedenkt, dass O’Sullivan, Higgins und Williams über oder knapp 30 Ranking-Tournaments gewonnen haben, ist das beeindruckend. Wenn man weiter beachtet, dass seit der Saison 2005/2006 fünf Spieler 12 oder mehr Turniersiege erstritten haben (O’Sullivan, Higgins, Selby, Robertson und Ding), sieht man, dass hier eine größere Dichte entstanden ist. Wenn man von den Geburtsjahrgängen ausgeht, sind von der alten Garde drei übrig, die zur Weltspitze zu zählen (O’Sullivan, Higgins und Williams) sind. Acht Jahre später waren es mit Selby, Robertson und Murphy ebenfalls drei. Im Grunde muss man Ding auch noch dazu rechnen. Und auch Mark Allen gehört mittlerweile in diese Klasse. Andere wie Stephen Maguire hatten das Talent, aber waren vielleicht nicht ganz so fokusssiert. Der ist zwar fünf Jahre jünger, hat aber um die gleiche Zeit mit seinen Erfolgen begonnen. Und weitere 7 bis 8 Jahre später mit Judd Trump eigentlich nur einer. Jetzt kommen noch Kyren Wilson, Anthony McGill und der eine oder andere junge Mann aus China dazu, wobei man noch nicht abschließend weiß, wer sich auf Dauer festbeißen wird.
Wenn die Nachfolge-Generation der Klasse von 1992 auf einmal ins Wanken gerät, weil ihre besten Spieler (die sowohl das Talent als auch die Reputation für große Siege haben) gerade keine Form zur Hand haben, steigt natürlich die Chance für die alten Füchse. Sie treffen entweder auf gute Talente, die noch grün hinter den Ohren sind und sind gerade für Higgins und Williams ein gefundenes Fressen oder auf erfahrene, aber nicht mit der letzten Qualität ausgestattete Profis, die sie ohnehin zu 95 % im Griff haben.
Genau das ist aber dieses Jahr passiert. Selby hatte keine gute Vorbereitung und ist vielleicht nach der erfolgreichen Titelvereidigung etwas amtsmüde gewesen. Der wird sich aber mit Sicherheit erholen. Murphy lässt sich schwer einschätzen. Aber der Quasi-Ausfall von Robertson (bereits seit über zwei Jahren) und Ding, die immer noch herausragende, aber eben auch katastrophale Leistungen abgeben, fällt ganz schön ins Gewicht und tut dem Sport alles andere als gut. Da es sich bei beiden offensichtlich nicht um technische, sondern eher mentale Probleme handelt, kann man nur hoffen, dass sie diese in den Griff bekommen. Robertson hat sich ja ziemlich offen darüber geäußert, aber die Art seines Spiels lässt darauf schließen, dass es nicht nur Probleme sind, die von außen auf ihn einwirken, ihn aber natürlich zusätzlich behindern. Ohne ihn zu kennen, sind allerdings dahingehende Spekulationen unangemessen und respektlos.