I (shot) loved the Sheriff

Sheriff Anthony Hamilton in der TV-Arena des Tempodrom. Neben ihm steht Ronnie O'Sullivan
Titelverteidiger Anthony Hamilton war auch 2018 beim German Masters dabei. Der andere (da links) nicht. © Lula Witzescher

Wir haben ja alle unsere Lieblingsspieler*innen. Und unser Team ist bekannt dafür, nicht unbedingt die Top 16 am liebsten zu sehen. Und so hat auch unser neuer Gastautor Sascha mit Anthony „The Sheriff“ Hamilton einen Lieblingsspieler, der eher in der „Abstiegszone“ der Rangliste steht.

Und er macht sich Gedanken anlässlich des wahrscheinlichen Abschieds von Hamilton, die weit über das Geschehen am Tisch hinaus gehen.

„German Masters Winner 2017, how does that sound?“, oder so ähnlich frug Rolf Kalb anno 2017 (ist das wirklich schon so lange her?) Anthony „The Sheriff“ Hamilton bei seinem vielumjubelten ersten (und wohl einzigen) großen Turniergewinn. Und weit weg von Berlin, im beschaulichen Südwestdeutschland, da stand ich vor dem TV und applaudierte stehend, dass die Nachbarn vermutlich sich ein bisschen in ihrer Nachtruhe gestört gefühlt haben könnten.

Zeitsprung: Februar 2025. Derselbe Spieler droht zum ersten Mal seit 34 Jahren von der Main-Tour zu fallen. Dem Vernehmen nach will der 53jährige in der Q-School weiterspielen, wenn das Wahrscheinliche eintritt.

Wann habe ich Anthony Hamilton das erste Mal wahrgenommen?

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr. Ich habe Snooker 1996 entdeckt. Die erste Weltmeisterschaft, an die ich mich bewusst erinnere, war die von Ken Doherty. Mein erster „Über-Favorit“, also der Spieler dem ich unabhängig vom jeweiligen Gegner die Daumen drücke, war Alain Robidoux. Sicher habe ich Hamilton schon damals wahrgenommen. Schon allein wegen seiner Tischhaltung, die mir schon beim Zuschauen Rückenschmerzen bereitet. (Dass er selbst Probleme damit hat, war ja auch schon relativ früh Thema, von seinen späteren Nackenschmerzen ganz zu schweigen.)

Robidoux-„Nachfolger“ hätte erstmal Paul Hunter werden können, wenn nicht … Nun, Krebs ist ein Arsch. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wie dem auch sei, ich habe „Robin Hood“ wegen eben jener filmreifen Gesichtsbehaarung, seinem Spielstil und sympathischen Auftreten im Allgemeinen zunehmend bevorzugt geschaut und irgendwann, ich kann nicht sagen, wann das so war, war er mein neuer „Über-Favorit“ unter all den vielen tollen Spielern. (Und falls ihr fragt, ja, es gab auch einen Spieler, den ich überhaupt nicht und niemals mochte. Es ist nicht Ronnie und ich sage euch auch nicht, wer es war.)

„Wann spihlt Ronny“ war mir folglich eher egal. Wenn er spihlte, schön, wenn nicht, auch toll. Außer natürlich er spihlte gegen Anthony. Was dann meistens klare Sache für den Favoriten war.

Am TV-Tisch spielen andere

Jetzt stand Hamilton vergleichsweise selten am TV-Table. Oft genug hieß es „Am anderen Tisch hat Anthony Hamilton …“ und oft genug waren das keine so guten Nachrichten. In Zeiten, in denen ich noch keinen ES-Player besaß, war dann auch „Dieses Match können Sie auf Eurosport 2 oder im Player live sehen“ keine so große Hilfe. Aber hey, es heißt EuroSPORT, nicht EuroSNOOKER und diese ständige Diskussion in der Komjuniti. Ich konnte halt öfters auch meinen Lieblingsspieler nicht sehen. Das passiert halt, wenn man einem Spieler die Daumen hält, der nicht zu den „ganz Großen“ gehört.

Aber die Komjuniti kann auch bezaubernd sein. Ich weiß leider nicht mehr wann, es dürfte so zehn Jahre her sein. Auf jeden Fall zu Twitter-Zeiten (die für mich später anbrachen weil ich den Schritt von Yahoo zum Vogel nicht sofort mitgegangen bin). Längst war bekannt, wem ich die Daumen drücke. Und eines Tages flattert ein Umschlag in meinen Briefkasten. Also echte Post. Drinnen ein handgezeichnetes Portrait des Sheriffs. Ich habe ein Autogramm von Jimmy White und auch eines von Ronnie. Ich bin über beides sehr glücklich. Aber dieses Portrait halte ich besonders in Ehren. Auch wenn der Kontakt zur Künstlerin längst nicht mehr besteht (wohl aber zur Dame, die das damals vermittelt hatte).

Bleistiftzeichnung von Anthony Hamilton, lächelnd

© Daniela Reich

Magic Moments?

Ja die gab es. „Den Hamilton machen“ heißt: anschwingen, den Spielball touchieren. Foul. Und dann Frame und Match verlieren. Bei den Northern Ireland Open 2016 gegen Barry Hawkins (dem ich dann im Finale vergeblich die Daumen drückte). Diese Art von unerwartetem Fehler ist Hamilton in dieser Zeit leider öfters passiert. FRUSTRIEREND!!!!!!!1ELF!!

Und in derselben Saison dann dieser Sieg im Tempodrom. Fan-Herz o hüpfe vor Freude und applaudiere frenetisch! ENDLICH ein Sieg. (Ich schreibe gerade wie ein Fanboy? Äääähm. Ja.)

Das ein oder andere Viertelfinale war zum Glück auch danach immer mal wieder drin, aber ich brauche niemandem zu erzählen, dass nach dieser Saison es wieder langsam in die andere Richtung ging. Dass er 2020 nach erfolgreicher Qualifikation auf die Teilnahme an der WM verzichtete, nahm ich einerseits mit großem Fan-Bedauern wahr, andererseits sehe ich bis heute seine Entscheidung als absolut korrekt an (ich gehöre zu den COVID-Regel-Hardlinern).

Den großen Auftritt bei der UK Championship 2021 habe ich dann leider verpasst. Es war eine Zeit, in der ich aufgrund verschiedener Umstände außerhalb von Weltmeisterschaften weniger mitbekommen hatte.

Sheriff Hamilton am anderen Tisch

Aber inzwischen habe ich Discovery+ und das beschert mir hin und wieder einen Blick auf Qualifiers oder den „anderen Tisch“. Leider sehe ich dort oft genug bestätigt, was der Engländer selbst sagt: Er kann sein altes Spiel nicht mehr abrufen. Es ist keine Freude mehr, zuzuschauen. „Schwanengesang“ nennt er es selbst. Und das trifft es sehr gut, finde ich

Hamilton sagt heute, er habe nach seiner misslungenen Augen-OP ab dem ersten Stoß gewusst, dass es mit Snooker vorbei ist. Dass er trotzdem weiterspielt – und hier und da noch Matches gewinnen kann – das, so sagte er jüngst in einem Interview, sei seine „stolzeste Zeit“. Die aktuelle Saisonstatistik spricht eine sehr deutliche Sprache: 6 von 21 Matches gewonnen, (zum Vergleich: in der Vorsaison waren es noch 13 von 30, und immerhin noch 8 Zentschuries). Aber, so sagt er, es ist sein Job. „Um Essen auf den Tisch zu bekommen, muss man Bälle lochen“.

Ich werde den Sheriff vermissen

Wird es einen neuen „Fanboy-Spieler“ für mich geben? Ich bin auch älter geworden. Und fanboye nicht mehr so wie früher. Ich freue mich einfach, die „Alte Garde“, die noch jung war, als ich selbst zum Snookerschauen kam, noch auf hohem Level spielen zu sehen. Und ich freue mich über Spieler wie Luca Brecel (unpopular opinion, I know) und Alex Ursenbacher.

Ich freue mich, dank Discovery+ über den Linear-TV-Tellerrand hinausschauen zu können. Ich freue mich eine Partnerin zu haben, die mit mir im Tempodrom war und meine Leidenschaft nicht ganz so teilt, aber wenigstens versteht.

Wenn ich als Opa, so in vielleicht vierzig Jahren, zurückblicke, werde ich sagen können „Ich war dabei, als Stephen Hendry sein letztes Maximum gespielt hat. Als Mark Williams überraschend Weltmeister wurde und nackt die Pressekonferenz gegeben hat. Und als Anthony Hamilton das German Masters gewonnen hat“.

Nicht die schlechteste Zeit um Snooker zu erleben.

Dieser Artikel wurde von Gastautor*in Sascha verfasst und spiegelt nicht die Meinung der SnookerPRO-Redaktion wider. Interesse auch auf SnookerPRO.de zu veröffentlichen? Alle Infos hierzu gibt es auf unserer Mitmachen-Seite.

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