Hach ja, ich freu mich schon fast auf alle Schmähkommentare, die ich mir mit dieser Aussage einfangen werde. Nicht, weil ich gern geschmäht werde, sondern weil ich mich ab und an so fühle, als sei ich der FC-Bayern-Fan unter den Snookerfans. Natürlich kenne ich die Argumente und Kommentare im Stile von „Es gibt Snookerfans und es gibt Ronnies Fans“ und das mag bei einigen vielleicht sogar stimmen. Bei den grölenden Soundhools im Crucible zum Beispiel. Bei mir stimmt’s nicht. Ich bin Snookerfan aus Überzeugung und es gibt noch jede Menge Spieler und –innen, die ich großartig, wundervoll und toll finde. Und trotzdem bin ich ein bekennendes Ronnie O’Sullivan Fangirl. Mit Begeisterung sogar.
Spielerische Höhen und Tiefen
Man soll es nicht meinen, aber großes Talent und das Aufstellen und Brechen von Rekorden ist nicht nur schön, sondern kann sich auch ganz schnell als Fluch erweisen. Gerade wenn man so instabil spielt wie Ronnie O’Sullivan. Sein schnelles und dabei unglaublich präzises Spiel ist faszinierend und beeindruckend, wenn es läuft. Aber das tut es ja nicht immer. So spektakulär schlimm wie Ronnie kann kaum wer anders verlieren. WENN er gewinnt, ist es wundervoll, wenn er verliert, bricht mir das fast das Herz. Unfassbares Talent allein reicht nämlich eben nicht aus, besonders nicht bei dem derzeitigen Spielniveau aller Beteiligten. Wie wir spätestens im Viertelfinale gesehen haben. Ich hätte es ihm von Herzen gegönnt, weiterzukommen, aber es war mal wieder eine seiner schlechten Spielphasen. Bitter.
Ausfälle und Benehmen
Ja sicher, Ronnie ist bekannt dafür, sich unbeliebt zu machen und sich auch gerne so richtig daneben zu benehmen, und das will ich auch gar nicht pauschal verharmlosen. Grobe Verstöße gehören bestraft. Hat Olivier Marteel ja auch gemacht, als es sein mußte. UND Herr O’Sullivan selber hat zugegeben, dass er für die unangebrachte Geste zu Recht verwarnt wurde. Verteidigen will ich die Kleinigkeiten, nicht wirklich grobe Verstöße, die absolut geahndet werden müssen, egal, wer sie begeht. Das Foul-7 aus Frame 5 des Viertelfinales hätte zu Lasten O’Sullivans gegeben werden müssen.
Für irgendwelche prätentiösen „Titel“, die er seitens der Presse erhält, und seine bisweilen unglaublich nervenden Fans vor Ort, die eher in ein Fußballstadion gehören als in einen Raum, in dem Snooker gespielt wird, kann er nichts. Und ob er nun extrem gut für Interviews und Pressekonferenzen geschult wurde, oder ob er alles, was er so in ein Mikro sagt, auch tatsächlich genauso meint, ist unerheblich. Wie jeder andere Mensch hat er das Recht auf seine eigenen Ansichten (und darauf, einige davon für sich zu behalten), und ich kann nichts anstößiges in seinen offiziellen Presseäußerungen finden. Eher im Gegenteil. Selbstkritik ist keine Schande. Er spricht von Respekt gegenüber seinen Mitspielern und gehört zu den wenigen Männern, die sich in der Debatte um Reanne Evans ausschließlich über ihr Snookerspiel äußert und nicht in die elende Genderdiskussion einsteigt. Schön, oder? Ausgerechnet derjenige, der durch Fehlverhalten und „Ausfälle“ auffällt, denkt erfrischend unstereotyp, bzw. äußert sich jedenfalls so.
Depression ist eine Krankheit
Für diejenigen, die es nicht wissen: Ronnie O’Sullivan leidet an Depression. Und damit ist die klinisch definierte Krankheit gemeint, nicht „ab und zu mal einen schlechten Tag / schlechte Laune haben“. Ein enorm wichtiger Unterschied. Das perfide an Depression ist, dass man sie erstens kaum vollständig „heilen“ kann und dass sie sehr häufig weitere Belastungen verursacht (in seinem Fall war das unter anderem mal Alkholismus, den zu bekämpfen eine Wahnsinnsleitung ist, und zwar immer). In einer Gesellschaft, die in jeder Hinsicht nur auf Leistung achtet und der der Mensch dahinter viel zu oft völlig egal ist, finde ich es wichtig und notwendig, Einzelne zu sehen, die von Zeit zu Zeit und scheinbar ohne Vorwarnung einfach „ausklinken“, bzw. „nicht mehr richtig funktionieren“. Darum applaudiere ich dem Wutausbruch, den scheußlichen Grimassen, die er immer wieder schneidet, und ja, auch den Socken. Mir ist völlig klar, daß in jedem Profi-Umfeld, sei es im Sport, bei „normaler Arbeit“ oder wo auch immer, ein gewisser Druck besteht, mit dem der/die/das jeweilige Profi zurechtkommen muß. Darum heißen die Leute schließlich Profis. Und Krankheiten, ob physische oder psychische, machen das Zurechtkommen immer zu einer Herausforderung. Ali Carter ist ein Musterbeispiel für einen, der das ganz exzellent auf die Reihe kriegt, wofür ich einen Riesenrespekt vor ihm habe (er ist nur einer der eingangs erwähnten anderen Spieler,die ich absolut großartig finde). Und Ronnie kriegt es eben NICHT auf die Reihe. Gibt er auch selber zu: „I wish I was more f***ing stable[…]“ (langes, interessantes Interview auf Englisch im New Yorker). Er zeigt durch seine nonkonformen Aktionen Schwäche – und den Mut muß man erstmal haben, sich vor laufenden Kameras bei einem Turnier zum Affen zu machen! Mut? Vielleicht ist es ihm einfach nur völlig egal, ob man ihn so sieht oder wer ihn so sieht. Diese chuzpe verdient in jedem Fall Respekt.
Ich darf abschließend noch anmerken, dass ich beileibe nicht alles, was Ronnie tut, für uneingeschränkt gut oder ihn selbst gar für gottgleich halte. Aber ich sehe mir gern auch den Menschen hinter der äußeren Person an und urteile nicht allein über das, was mir die Sportübertragung oder die Pressekonferenz zeigt. Und darum bin ich ein Fangirl und schäme mich nicht im mindesten dafür.
Das tut mir leid, dass ich deine Erwartung eines Schmähkommentars nicht erfüllen kann ;o) Hättest du dich als Bayern-München-Fan geoutet…
Ich denke, dass deine Haltung nicht ungewöhnlich ist. Als Fan des Snooker-Spiels müsste ich schon ganz schön schräg drauf sein, wenn ich die spielerische Leistung eines O’Sullivan nicht anerkennen könnte. Und eine gewisse Relativierung („das will ich auch gar nicht pauschal verharmlosen“) ist einer der Wege, um als Fan mit seinem Pendeln zwischen Genie und schlechtem Benehmen klarzukommen. Auch ich denke, dass jeder Mensch ein Recht auf seine eigenen Ansichten hat, nur in seinem Fall wünschte ich mir, er würde nicht jeden Gedankengang, den er hat, mit der Öffentlichkeit teilen. (Für diese diplomatische Formulierung habe ich einige Zeit gebraucht…)
Wo wären wir, wenn es keinen Ronnie im Snooker gäbe? Er hat doch fast im Alleingang dafür gesorgt, dass Snooker in den letzten 20 Jahren populär geblieben / gewachsen ist. Eine Snookerwelt, in welche es nur solche Typen wie Joe Perry ober Stuart Bingham gäbe, wäre doch ein wenig arg trist… Ich habe nichts gegen die Spielweise der beiden, aber abseits des Tisches sind sie nicht gerade geborene Alleinunterhalter.
Ronnie ist doch einer der wenigen, der einfach mal die Sau rauslässt. Und damit soll er auch gerne weitermachen, solange es die anderen Spieler nicht behindert. Als wirklich interessanter Typ ist mir bei der aktuellen WM nur McGill in Erinnerung geblieben, und sei es nur wegen der teilweise wahnsinnigen Stöße. Der Rest spielt zwar hervorragend, aber so wirkliche Attraktionen, welche auch neue Zuschauer für das Spiel begeistern, sind kaum dabei. Bei Ronnie sieht man doch schon nach den ersten Stößen, dass er irgendetwas anders macht oder einfach anders ist. Snooker wird um eine große Persönlichkeit und einen riesigen Kassenmagneten ärmer, wenn er in ein paar Jahren aufhört (wovon ich einfach mal ausgehe ;)).
Ich bin auch „Fan“ (ich mag das Wort eigentlich nicht, weil es irgendwie so eine unreflektierte „Ich-finde-alles-geil-was-er-macht“-Mentalität ausdrückt…) seiner Persönlichkeit und derjenigen Tage, an denen er wie ein Gott spielt und der Tisch einfach seinem Willen gehorcht. Von daher: Fangirl sein ist nicht schlimm ;).