Der Auftritt von Mark Selby im Erstrundenmatch gegen Zhao Xintong wurde – wie üblich – von Fans und Nicht-Fans unterschiedlich beurteilt. Unser Gastautor Benjamin Sixel hat aus dem Spielbericht ein Rundumbashing an Selbys Stil gemacht. (Dieser Artikel gibt nicht die Meinung der Redaktion wieder.)
Die Länge der Safety muss stimmen
Zugegeben, Vergleiche mit anderen Sportarten verbieten sich beim Snooker mit Nachdruck. Dennoch komme ich manchmal nicht umhin, beim Schauen manchmal an all die Tennisexperten zu denken, die einem soliden Grundlinienschlag eine „gute Länge“ attestieren. Bei einem solchen Ball wird der Gegenspieler so weit zurückgedrängt, dass er nur reagieren kann und Schwierigkeiten hat, das Heft im Ballwechsel in die Hand zu nehmen. Übertragen wir dieses Bild auf Snooker, so gibt es auch hier „gute und schlechte“ Längen, und zwar bei der Qualität der Safety.
Das fängt schon beim Anstoß an. Es gilt, möglichst keine rote Kugel anzubieten und die Weiße so unangenehm wie möglich zu positionieren, damit der Gegenspieler unter Druck gesetzt und im besten Fall dazu genötigt wird, eine Chance hinzustellen. Der Vergleich mit dem Tennissport verbietet sich natürlich im Weiteren grundlegend, weil der Snookerspieler Zeit hat, auf das Geschehen zu reagieren, bevor er den nächsten Ball spielt. Die Einzigartigkeit des Sports manifestiert sich auch gerade darin, dass der Zuschauer dem Spieler bei der Entscheidungsfindung zusehen kann. Die Lösung, die dann gefunden wird, hat man vielleicht selbst vorher schon mental durchgespielt, aber oft genug finden die Profis natürlich eine viel zwingendere und erfolgreichere Lösung.
Keine zwingenden Safeties von Selby
Es kommt also doch auf die Länge an. Zu kurze Safeties werden allzu oft gnadenlos bestraft mit dem langen Einsteiger und dem folgenden, im Applaus untergehenden „One“ des oder der Unparteiischen. Genau diese Bestrafung ist Zhao Xintong im gestrigen Spiel gegen Mark Selby kaum gelungen. Als es in die entscheidenden Frames ging, sogar gar nicht mehr, was eine Überraschung verhinderte, die absolut im Bereich des Möglichen lag. Zu fahrig agierte Selby, er rumpelte sich einmal mehr zu einem schwer anzusehenden 10:7 und bewies eindringlich seine Qualitäten als Folterknecht, indem er verzögerte und die Frames zerhackstückelte. Seine Safeties waren keineswegs Weltklasse, nur selten lag der Ball trotz langer Vorbereitung richtig unangenehm für seinen Gegner. Der sonst so flüssig und schnell spielende Zhao kam mit zunehmendem Druck mit dieser Spielweise nicht mehr klar. Mark Selby ist mit seiner Spielart dreimal Weltmeister geworden und hat etliche Jahre hintereinander als Nummer 1 hinter sich, war somit immer der Gejagte und hat diesem Druck so oft standgehalten. Aber er ist kein Flowspieler, dem egal ist, was der Gegner macht, Hauptsache der Tisch wird abgeräumt. Trump, Murphy, Higgins, Robertson, O`Sullivan, Williams oder Ding Junhui, auch Jack Lisowski sind typische Flow-Spieler. Auch Stuart Bingham zeigt das in der ersten Runde bereits. Bei Mark Selby sieht Snooker oft genug mehr nach Arbeit als nach Kunst aus. Man hatte den Eindruck, dass die Zuschauer dem chinesischen Underdog durchaus mehr gegönnt hätten als ein lange sehr offenes Match, aber die Tradition verfügt, dass der neutrale Beobachter eher eine Sensation herbeiapplaudieren möchte. Dennoch scheint mein Eindruck, dass bei anderen Spielern mehr Begeisterung für gewonnene Frames und Matches im Publikum entfacht wird.
Zerfahrenheit 451
Selbys Safeties waren jedenfalls keineswegs Weltklasse, nur selten lag der Ball trotz langer Vorbereitung richtig unangenehm. Aber er hat dieses wichtige Erstrundenspiel dank der beschriebenen Matchhärte und sehr viel Geduld, um nicht zu sagen Zermarterung des Gegners, gewonnen. Schön anzusehen war das nicht. Aber der Erfolg gibt wie immer Recht. Aber von heiligen Mitteln will ich hier nicht sprechen. Man kann das Match auch als „Zerfahrenheit 451“ bezeichnen, 451 Mal schon von ihm gesehen und so zerfahren, dass man sich dann doch wieder andere Spieler in den weiteren Runden wünscht.
Aber es macht natürlich genau den Reiz aus, dass die Persönlichkeiten so differieren. Zhao Xintong hat sich vielleicht zu sehr an den zähen Stil seines Gegners angepasst. Das war nicht mehr sein Spiel, und so konnte er trotz der oft zu kurzen Länge und Ungenauigkeit der Safeties seines Gegners kein Kapital daraus schlagen. Er wird sich selbst am meisten darüber ärgern. Dafür, dass Selby für seine einschnürenden Defensivbälle berühmt ist, war das dünn, aber einer wie er kann sich jederzeit steigern mit seinem imponierenden Willen. Sonst wird man nicht so erfolgreich. Ich jedenfalls freue mich jetzt in den Tagen wieder auf viele lange Einsteiger trotz Safeties mit guter Länge und erzwungene Chancen, die dann genutzt werden. Oder eben auch nicht.
Dies ist ein Gastartikel. Weitere Einschätzungen des Autoren Ben sind auch im Netz zu finden.