Ich bin ja bekannt für meine miesen Vorhersagen. Und so kann ich mit Stolz behaupten, dass ich auch dieses Mal wieder danebengelegen habe: Ken Doherty könnte schlicht eine Nummer zu groß für die 10fache Weltmeisterin Reanne Evans sein, verkündete ich vorgestern vollmundig.Aber was wir heute zu sehen bekamen, ist damit nicht ansatzweise zutreffend beschrieben. Obwohl Evans sich am Ende dem ehemaligen Weltmeister mit 8-10 geschlagen geben musste, konnte ein Duell kaum knapper sein.
Doherty gewann zwar den Auftaktframe, zur Pause sah er sich aber 1-3 hinten liegen. Danach ging es relativ ausgeglichen weiter und zum Ende der Session stand es 5-4 für den Iren. Beide spielten nicht auf höchstem Niveau, es gab einige „leichte” Fehler und verfehlte Bälle, weshalb kein Frame mit nur einem Besuch am Tisch entschieden wurde. Evans Stellungsspiel hatte zeitweise auch Luft nach oben, aber wir sahen auch viele wunderbare lange Bälle und herrliche Snooker.
Hohe Breaks gab es auch in der Abendsession nicht zu sehen. Den 13. Frame verlor Evans unglücklich und kam danach ein bisschen aus dem Tritt, sodass Doherty 8-6 in Führung gehen konnte. Den 15. Frame konnte sie mit Breaks von 25 und 42 gewinnen, der 16. ging wieder an Doherty. Im 17. Frame packte sie ein tolles Breakbuilding aus und schloss zum 8-9 auf. Im 18. und letzten Frame ging Evans in Führung, Doherty brauchte Snooker – bei Pink und Schwarz auf dem Tisch. Und er bekommt den Snooker, Evans foult, Doherty locht – und hat keine Stellung auf schwarz. Die letzte schwarze, die Evans spielt, ist mir persönlich ein Rätsel. Ende vom Lied ist, dass sie den Ball lochbar liegen lässt und diese Gelegenheit lässt sich der Routinier Doherty nicht entgehen.
Evans Kommentar anschließend: „Es war ein Kampf. Das ganz Spiel war ziemlich zerhackt, aber ich habe mich reingekämpft. Ich bin froh, dass ich gegen einen Weltmeister, gegen einen Spieler mit so viel Erfahrung so gut dranbleiben und ihm Angst einjagen konnte. Ich bin diese langen Distanzen nicht gewohnt, es war eine gute Erfahrung für mich. Ich habe heute nicht mein bestes Spiel gezeigt, aber es gibt keinen Grund, warum ich Spieler wie Ken nicht schlagen sollte. Wenn ich öfter die Gelegenheit hätte, in Wettbewerben wie diesem anzutreten – wer weiß.”
Doherty sagte nach dem Spiel: „Ich bin glücklich, dass ich in der nächsten Runde bin. Das war eins der härtesten Spiele, das ich je bei einer WM gespielt habe. Reanne hat mich während des ganzen Spiels unter Druck gesetzt und gutes Matchplay an den Tag gelegt. Wäre es zum 9-9 gekommen, hätte meine Chance 1:1 000 000 gewesen, das Spiel zu gewinnen. Reanne hat es mehr verdient, denn sie hat besser gespielt als ich. Wenn sie gegen jemand anderen gespielt hätte, hätte ich sie angefeuert.”
An den Kommentaren im Netz wurde deutlich, dass viele Leute Reanne Evans unterschätzt haben. Sie hat in der letzten Zeit ihr Spiel rundum verbessert und ist offensichtlich auch einer solchen Drucksituation mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit auf das Spiel, der ungewohnten Distanz und einem starken Gegner gewachsen. Es ist zu hoffen, dass wir sie in Zukunft häufiger sehen, damit sie von den Teilzeitfans nicht mehr wie ein plötzlich vom Himmel gefallener Stern betrachtet wird, sondern als feste Größe im Snookerwettbewerb.
Der Rest in Kürze
Ashley Carty verliert relativ unspektakulär mit 3-10 gegen Jamie Jones, macht dabei aber ein 105er Century.
Sean O’Sullivan macht es gegen Ben Woolaston spannend und verliert nach einem 3-6 Zwischenergebnis mit 8-10. Die höchsten Breaks dabei: Sean 63, Ben 76.
Alan McManus gewinnt 10-5 gegen Michael Wasley und macht dabei ein 110er Break.
Dark Mavis gewinnt 10-4 gegen Joe O’Connor.
Eine äußerst spannende Partie gab es mit Michael White (17.) gegen Steven Hallworth (110. der Setzliste). Hallworth ging mit 4-0 in Führung, doch White holte sich die nächsten sieben Frames in Folge. Am Ende gewann er 10-8 und Hallworth zeigte ein Niveau, das sein Ranglistenplatz nicht vermuten ließ. Wir werden ihn auf alle Fälle im Auge behalten – nicht nur wegen der Frisur.
Der größte Schocker der Vorrunde bisher war wohl das Ausscheiden von Martin Gould (als 25. gesetzt) gegen den Amateur Adam Duffy. Gould kam das ganze Spiel über nicht richtig in Tritt und so gewann Duffy überraschend, aber folgerichtig mit 10-6.
Super Artikel! Eine gute Möglichkeit das Spiel nachzuholen, wenn man es nicht gucken konnte.
Allerdings wäre Ken nicht so glücklich, dass Du aus ihm einen Engländer gemacht hast ;-)
Herzlichen Dank, liebe Claudia, für diesen Hinweis!
War schon ganz schön spät, gestern Nacht, da passiert sowas…da werde ich ihm mal kurz ein Visum für Irland ausstellen…