Ein Session Whitewash für Ronnie bei der WM. Mit offenem Munde sitze ich vor dem Endgerät und sehe das, was uns da aus Sheffield übertragen wird.
Gestern erlebten wir eine sehr schnelle Session und ein irgendwie leistungsgerechtes 4–4 zwischen Fast-Rekordweltmeister Ronnie O‘Sullivan und „Amateur“ Zhao Xintong. Beide waren schnell unterwegs, beide machten auch Fehler, die der jeweils andere mal mehr, mal weniger zu nutzen wusste. Das Zwischenergebnis ging für mich in Ordnung. Aber ich hatte auch einen Frame verpasst, in der irrigen Annahme, wenn ich zwischendrin ein Brot esse, verpasse ich nicht all zu viel.
Mit einem ähnlichen Verlauf rechnete ich auch heute.
Ronnie O’Nullivan
Dass der Engländer Probleme mit seinem Queue hat und sein eigenes Spiel im Viertelfinale gegen Si Jiahui als „furchtbar“ bezeichnete, war inzwischen bekannt. Doch trotzdem ungewöhnlich war, was der Mit-Titel-Favorit gestern nach der Session noch tat: Er kaufte sich in einem Laden vor Ort eine neue Ferrule und einen neuen Schaft. Quasi mitten im Match.
Lässt sich damit erklären, was die Welt in weniger als zwei Stunden zu sehen bekam? Ich will es mal so formulieren: Ronnie war körperlich anwesend. Und ja, gelegentlich lochte er auch Bälle. Aber faktisch war der Chinese – der keineswegs fehlerfrei spielte und seinem Gegner einige Chancen gab – Alleinunterhalter im Crucible.
Am Ende ging die Session 0-8 (null zu acht!) für den Nicht-Amateur Zhao aus. NULL ZU ACHT. Ich begreife es nicht. Ich möchte – vermutlich zum ersten Mal in meinem Snooker-Fan-Leben, „C’mon Ronnie“ rufen. So laut dass er es hört.
Das erste Session-Whitewash für den jetzt 4–12 hinten Liegenden bei einer WM? Ich weiß es gar nicht.
Ich wage keinen Ausblick
Wie geht es jetzt weiter? Sehen wir heute Abend die finale Session der Partie? Bekommt Ronnie seine sichtbare Frustration sowie das Spielgerät wieder in den Griff?
„Schalten Sie ein, wenn es wieder heißt „Er spielt nicht schlecht, er hatte keine Lust.““
Grübelnde, fassungslose Grüße,
Sascha
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Überrascht und doch nicht verwundert
Soweit Kollege Sascha. Auch ich, Lula, saß etwas ungläubig vor dem Bildschirm. Ich will nicht soweit gehen, dass manche seiner verfehlten Bälle sogar ich gelocht hätte, aber es trieb mir zwischenzeitlich wirklich die Tränen in die Augen. Die Änderung an seinem Queue wird sicherlich dazu beigetragen haben. Und nicht ganz unwesentlich wird auch gewesen sein, dass Zhao Xintong hier seinem tatsächlichen Top-8-Status gerecht wurde und ein mundwässerndes Snooker spielte.
Nun kenne ich den Ronald und seine Geschichten mittlerweile ad nauseam. Und auch, was andere an Analysen dazu anstellen. Ich kenne die „keine Lust“-Theorie, die so oft von enttäuschten Fans kommt. Und ich verstehe, wie die Menschen darauf kommen. Auch ich habe ihn schon absichtlich verlieren sehen, habe ihn Mist bauen und reden hören.
Doch momentan sehe ich etwas anderes.
Psychische Probleme ernst nehmen
Seit Jahren sehen und hören wir O’Sullivan seine Leistung kleinreden. So langsam könnte vielleicht auch der letzte Medienmensch (das Publikum in großen Teilen auch) den Zusammenhang klar herstellen, zwischen den mentalen Problemen, die der Mann hat und seiner Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Dass das Kleinreden seiner Fähigkeiten eine Strategie ist, mit dem Druck umzugehen, den er spürt, auch oder gerade wenn so viele ihn für einen Snooker-Gott halten.
Nein, psychische Probleme sind nicht, wenn du einen schlechten Tag hast, weil dein Social Media nicht genug Herzchenklicks bekommt. Depression ist keine schlechte Laune oder dass du heute mal keinen Bock hast. Und O’Sullivan hat bestimmt nicht ein paar Monate Pause gemacht, weil er mal wieder einen WM-Titel holen wollte, nachdem er während der Saison nicht gespielt hat. Ich sehe jedenfalls schon wieder einen O’Sullivan, der es nicht schafft, sich zu rasieren und der im Studio nicht immer gerade Sätze sagt. Auf alle Fälle keinen, der aus taktischen Gründen tiefstapelt, sondern einen Menschen, der sich gerade nicht besonders wohl fühlt. Ich denke, dass er auch mit den zunehmenden körperlichen Erscheinungen des Altwerdens kämpft und seine inneren Stimmen ihm nicht gerade Akzeptanz vermitteln. Dass er dann zu so Strategien greift, wie die Spielroutine mal eben durch eine neue Queuespitze zu zerstören, kennen wir von ihm ja auch schon länger.
This has nothing to do with the ferrule, or tip, new cue, or anything like that
This is that well-known morning sensation when you wake up and say: “Hello darkness, my old friend”. And yet again comes a day of fatigue, mood swings & disinterest#AskForHelp #MentalHealth #Snoker pic.twitter.com/m05mi2RAug— Klára (@Klara__T) May 2, 2025
Mein Ausblick auf heute Abend
Ich erwarte heute Abend dennoch Gegenwehr von O’Sullivan nach diesem Whitewash in Session zwei. Wenn er in der Zwischenzeit noch mit jemandem aus seinem Kreis an Vertrauten reden konnte, dann wird er Zhao Xintong hier nicht kampflos ins Finale ziehen lassen.
Und Zhao braucht ja auch noch fünf Frames. Da können beim Anblick der nahenden Ziellinie auch gerne mal die Nerven falttern. Aus diesem Grunde rechne ich fest damit, dass wir heute Abend nicht die letzte Session dieses Spiels sehen werden.
Bei Trump gegen Williams steht es 6–3 und es sieht nicht so aus, als würde hier der alte Mann zusammenbrechen. Die Spielzeiten findet ihr hier auf unserer Turnierseite.