Der Tag der „Todesgruppe“

Robertson, Bingham
Titelverteidiger Robertson ist schon am Ende. Doch auch für Bingham lief es nur halb rund. © Monique Limbos

Während ich die gestrige Gruppe insgeheim „Glücksgruppe für RoS“ nannte, setzte mein Bloggerkollege für die heutige einen recht dramatischen Namen in die Welt. Hier konnte in der Tat jeder der vier Spieler ins Halbfinale kommen, auch wenn Cuetrackers neues Vorhersagemeter den deutlichsten Vorteil für Ding zeigte. Doch wer blieb am Ende wirklich auf der Strecke?

Zwei Ex-Weltmeister im Duell

Neil Robertson hatte nachmittags das Vergnügen mit Stuart Bingham. Doch ich bezweifle, dass er wirklich Vergnügen hatte, denn ein stark spielender Bingham entschied das Spiel 4-2 für sich. Es wurde im Vorfeld darüber spekuliert, ob sich der Jetlag bei ihm zeigen würde, denn immerhin hat er am Samstag noch in China das Finale der China Championship bestritten. Doch davon konnte heute Nachmittag nicht die Rede sein: flüssig, konzentriert und selbstbewusst wirkte „Ballrun“ Bingham gegen den Titelverteidiger von Down Under. Mit Breaks von 132, 94, 61 und 59 gewann Bingham seine Frames, während Robertson lediglich mit einer 53 aufwarten konnte.

Nach einem Kick von Robertson konnte Bingham mit einem 94er-Abräumer 1-0 in Führung gehen. Im zweiten Frame legte der Australier 48 Punkte vor. Nach Foul des Engländers kam er wieder an den Tisch und holte sich mit einer 52 den Frame. Der dritte Frame war heiß umkämpft: Nach Vorlage von Robertson erspielte sich Bingham einen Vorsprung. Es folgte ein Snookerduell, an dessen Ende Robertson versehentlich Grün lochte und die Safety auf Braun nur suboptimal gelang. Mit dem überraschenden Versenken dieser Braunen erkämpfte Bingham sich das 2-1. In zwei Anläufen glich Robertson aus, doch den fünften Frame holte Bingham mit dem bisher höchsten Turnierbreak von 132. Im letzten Frame wirkte Robertson fast schon ein wenig verzweifelt, als er einen riskanten Einsteiger spielte, der leider völlig misslang. Zwar konnte Bingham die Chance nicht nutzen und wir mussten ungefähr eine Viertelstunde warten, bis überhaupt der erste Punkt gemacht wurde, aber am Ende reichten Bingham zwei Chancen, um Frame und Spiel zu gewinnen.

Comedy of Errors

Gerne würde ich über das Spiel Ding Junhui gegen Ali Carter auch so einen ausführlichen Bericht verfassen. Doch nachmittags um vier ist immer die wichtigeste Zeit des Tages, denn da gibt es Kuchen und ich muss meinen Platz vor dem Bildschirm verlassen. Als ich zurückkam stand es 2-1 für Carter, doch der wirkte nicht besonders souverän und konnte keinen Frame mehr gewinnen. Im Studio hatte Alan McManus anschließend eine Therorie, die ich jetzt einfach mal so ungeprüft hierhinstellen muss: „Ali hatten einen furchtbaren Kick und verschoss eine Rote. Es scheint, als hätte er daraufhin total die Spur verloren. Und Ding hat einfach weniger Fehler gemacht.“ Dings Nerven waren tatsächlich deutlich stabiler. Den vierten Frame „stahl“ er  nach Vorsprung von Carter und glich zum 2-2 aus. Im fünften Frame machte der Mann aus China eine 75 und der fliegende Engländer eine 0. Und den letzten Frame gewann Ding mit einem einzigen Punkt Vorsprung: 4-2 das Endergebnis.

Das war alles andere als eine Weltklasseperformance, aber das Kommzurück, dass Ding hier hinlegte, war durchaus anerkennenswert. Was er anschließend zu sagen hatte, kann man hier hören.

Das Gruppenfinale am Abend

Hier erscheint im Laufe des Abends mein Livebericht, soweit es meine Zählschicht für snooker.org zulässt.

Ding scheint ein wenig nervös zu sein: Erst verschießt er zweimal Schwarz vom Punkt und dann locht er, obwohl er Snooker legen müsste. Das Ergebnis hiervon: Bingham führt 1-0. Ein Stellungsfehler von Bingham im zweiten Frame bringt die Chance für Ding. Doch der verschießt beim Stand von 23-13 eine Rote. Bingham kontert mit flottem Arbeitsbreak inklusive superbem Stellungspiel und geflukter Schwarzer als Abschluss zum 2-0.

Doch Ding kann auch anders: Im dritten Frame startet er das Break mit einem beeindruckenden Einsteiger, macht dann 93 Punkte und locht bei einem Mini-Split-Versuch unglücklicherweise den Spielball. Aber den ersten Frame auf der Tafel zu haben ist schon ein gutes Zeichen. 2-1 nur noch für Bingham. Nachdem im vierten Frame eine Schwarze von Bingham nicht fallen will und Ding ein Break von 40 spielt, schöpfe ich fast schon die Hoffnung, dass er sich gefangen hat. Doch dann verschießt er eine leichte Rote und Bingham macht eine 61 zum 3-1.

Nun ist erstmal Pause. Die Analyse lautet: Vom dritten Frame abgesehen macht Ding einen fragilen Eindruck. Obwohl er technisch einer der besten Spieler ist, gibt es Fehler in seinem Spiel. Diese haben sich wahrscheinlich dadurch immer weiter ausgewachsen, dass er zwischen den Turnieren zu wenig Zeit investieren konnte, um sie wieder auszubügeln. Um diese „einfachen Verfehler“ zu vermeiden, müsste er jetzt 100% Konzentration in jeden einzelnen Stoß setzen. Wenn ihm das nicht gelingt, hat er heute keine Chance gegen den starken Bingham.

Shottaker Dings MissIm fünften Frame zeigt auch Bingham die ersten Unsicherheiten: Er verschießt eine knifflige Schwarze an der Bande entlang und verstellt sich bei der zweiten Chance, sodass er Rot nicht versenken kann. Auch Ding schwankt ein wenig, Snookerbackers hilfreiches Shottaker©-Feature dokumentiert einen dieser überflüssigen leichten Verfehler auf Pink vom Punkt. Doch am Ende holt sich der Chinese den Frame mit einem 69er Break und verkürzt auf 2-3.

Es scheint ganz so, als würde das Spiel jetzt kippen. Bei Bingham läuft nichts mehr so richtig und Ding gleicht zum 3-3 aus. Und geht gleich darauf mit 4-3 in Führung. Bingham hat seit Ewigkeiten keinen Ball mehr gelocht. 8. Frame: Gerade dachte ich: „Jetzt sind wir bei Not gegen Elend angelangt“, da locht Ding eine Rote zum Breakbeginn. Mal sehen, wie lange das geht. Ok, bei 42 Punkten und einer Roten ins Eck ist Schluss. Dafür locht Bingham jetzt mal ein paar Bälle. Doch in der Zwischenzeit wechseln sich wieder grandiose Bälle mit unforced erros ab – und zwar bei beiden Spielern. Beim Stand von 44-51 und noch 35 auf dem Tisch sind wir in einer Safetyphase angelangt, in der Ding dem Bingham gleich mal vier Foulpunkte beschert. Die ersten erschöpften Zuschauer mussten schon ausgewechselt werden und bekommen nicht mehr mit, dass Bingham den Ausgleich zum 4-4 schafft. Das kann noch eine lange, schmerzhafte Nacht werden.

9. Frame: Weiter geht’s. Gut wäre, wenn man ein paar halluzinogene Drogen zur Hand hätte. Oh, jetzt hab ich irgendwas verpasst. Aber nichts Dramatisches. Sechs Punkte für Bingham, offener Tisch und Safetyduell. Doch Ding stoppt das Mini-Kommzurück und geht mit hübschem Century (125) 5-4 in Führung.

Der 10. Frame könnte gut und gerne der Letzte werden. Damit wäre mal eine von Snookerbackers Voraussagen falsch. Denn Ding ist schon wieder in den Bällen und Bingham sieht in seinem Stuhl nicht siegesgewiss aus. Ups, und da ist sie auch schon: die verschossene Rote beim Stand von 45. Doch ein Kick verhindert, dass Bingham ein Break aufnehmen kann. Daher ist Ding jetzt wieder am Tisch. Und locht gerade den Frame- und Matchball. Finito. Ding steht im Halbfinale und trifft am Freitag auf den Gewinner der Gruppe Judd Trump/Shaun Murphy/John Higgins/Anthony McGill. Wer es sein wird, ist dem gut gelaunten Mann völlig egal, sagt er.

 

AutorIn: Lula Witzescher

Lula Witzescher (genderqueer), im Netz auch bekannt als Dark Mavis *Lady*. Sucht für den Roman „Belinda to break“ einen Verlag. Streitet im Netz für alle Formen von equality. Hält die Butthole Surfers für die beste Band der Welt. www.twitter.com/lulawitzescher

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2 Gedanken zu „Der Tag der „Todesgruppe“

  1. Lula Witzescher Artikelautor

    Gern geschehen. Aber ich hoffe doch, du warst auch live am Bildschirm dabei und nicht nur an meinem Live-Ticker?

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