WM-Halbfinale: Trump siegt in Krimi, O’Sullivan kontrolliert

Halbfinale Trump gegen Williams. Judd Trump mit konzentriertem Blick am Tisch, Mark Williams im Hintergrund auf seinem Stuhl.
Judd Trump siegreich im Decider nach Williams-Comeback im Halbfinale. © World Snooker/Tai Chengzhe

Das Halbfinale bei der Weltmeisterschaft sorgte für ordentlich Dramatik. Mark Williams gelang ein starkes Comeback, aber am Ende setzte sich Judd Trump im Decider durch. Ronnie O’Sullivan ist weiter auf Kurs zum siebten Titel nach einem konzentrierten und kontrollierten 17–11-Sieg über John Higgins.

Doch kein einseitiges Halbfinale?

Was wir heute über Snooker gelernt haben: Man kann ein Match über vier Sessions noch nicht in der ersten Session gewinnen. Aber man kann es auch noch nicht verlieren. Das stellte Mark Williams unter Beweis. Nach einer komplett gebrauchten ersten Session ging er mit 1–7 in Rückstand. Lula mutmaßte, dass das Boot sinken könnte, wenn er die zweite Session nicht zum Aufholen würde nutzen können. Er konnte es nicht. Nach der zweiten Session blieb der Rückstand erhalten: 5–11. In die dritte Session startete Judd Trump dann mit einem Century, sodass wir uns alle fragten, ob wir überhaupt noch eine vierte Session erleben würden.

Doch dann begann die atemberaubende Aufholjagd des Mark Williams. Er startete mit einer 137er Total Clearance und gewann noch fünf weitere der sechs verbleibenden Frames. Dabei nutzte er Fehler von Judd Trump, insbesondere im langen Lochspiel, gnadenlos aus. In den meisten Frames lochte Judd Trump keinen einzigen Ball. Sein Vorsprung war am Ende der dritten Session auf 13–11 eingedampft.

Die unwahrscheinliche letzte Session

Entgegen unserer Befürchtungen gab heute es eine entscheidende vierte Session. Und wer sie nicht gesehen hat, hat wirklich etwas verpasst. Beiden Akteuren war die sich zuspitzende Spannung anzumerken und beide konnten mit gutem Spiel überzeugen. Insbesondere Mark Williams, der auch dank Breaks von 137 und 138 erst zum 14–14 und dann zum 15–15 ausgleichen konnte. Judd Trump wirkte jetzt nervös und verschoss einige Longpots. Mark Williams hingegen war ein weiteres Mal die Ruhe selbst. Nur die großen Split-Götter waren ihm nicht immer gewogen.

In Frame 31 stieg die Nervosität merklich auf beiden Seiten. Beide hatten einige gute Chancen, doch konnten keine vorentscheidende Menge an Punkten daraus erzielen. Mühsam wie ein Eichhörnchen erkämpfte sich Mark Williams den Frame auf Pink. Damit ging er zum ersten Mal im Matchverlauf in Führung und nur ein Frame fehlte zum erfolgsgekrönten Comeback.

Trump übersteht Chaos im Decider

Danach passierten im Wesentlichen zwei Dinge: Aus dem Nichts lochte Judd Trump plötzlich alle langen Einsteiger, als stünde er nicht im Halbfinale, sondern am Trainingstisch. Und es passierte DAS. Was auch immer dabei nun ganz genau passierte. Williams konnte diesen kuriosen Fluke aber nicht nutzen, er verschoss anschließend Schwarz und ließ Judd Trump eine Chance. Das Match bekam, was es verdiente: einen Decider.

Zum Glück blieb uns im Decider das Century erspart und wir bekamen eine ordentliche Portion Drama. Hier war es Judd Trump, der mit einem Fluke früh eine Chance bekam. Doch die Fortsetzung war ihm nicht geheuer. Also entschloss er sich, einen wirklich fiesen Snooker zu legen. Und der bereitete Mark Williams Kopfzerbrechen. Er lief einmal um den Tisch, zweimal. Dachte nach. Aber er blieb ratlos. Er entschied sich für das klassische „voll Möhre reinhalten und auf das Beste hoffen.“

Die Roten verteilten sich ganz wundervoll quer über den Tisch und zu Mark Williams Entzücken eine davon in eine der Taschen. Doch er verpasste Blau aus kniffligem Winkel auf die Mitteltasche und gab die erste gute Chance im Decider an Judd Trump weiter. Nach 49 Punkten verschoss er, Williams holte ein paar Punkte auf. Beim Stand von 50–25 für Trump, lieferten sie sich ein Safeduell auf die drei letzten Roten. Judd Trump lochte erst eine, dann eine weitere Rote als Cross-Double (zumindest die erste der beiden wohl eher als Fluke) und konnte dank eines tollen Positionsspiels von Braun auf die letzte Rote Frame und Match vorentscheiden. Danach überstand er noch einige Snookerversuche seines Gegners, bevor dieser ihm gratulierte.

Auf das WM-Halbfinale konnte man sich mal wieder verlassen. Für all das Drama lieben wir diese langen Matches!

O’Sullivan gegen Higgins: Keiner will verlieren

Trotz all des Decider-Dramas war das Halbfinale der oberen Hälfte das entspanntere. Judd „dieses Jahr erwarte ich nichts von mir“ Trump und Mark „wenn ich verliere, habe ich mehr Zeit für Golf“ Williams gingen das Halbfinale locker an. Ronnie O’Sullivan und John Higgins hingegen war über alle drei Tage anzumerken, wie sehr sie dieses Match gewinnen wollten.

Nach der ersten Session stand es Unentschieden, in der zweiten konnte sich O’Sullivan vorentscheidend absetzen. Besonders wichtig wurde dabei der letzte Frame, den er Higgins noch stehlen konnte, nachdem er mit einer beeindruckende Clearance eine Respotted Black erspielte. Higgins verfehlte, O’Sullivan lochte. Mit 10-6-Führung ging er damit in die dritte Session heute Vormittag.

O’Sullivan sorgfältig, Higgins frustriert

Ronnie O’Sullivan ließ es super sorgfältig angehen. Wie schon in den Sessions zuvor, ließ er so oft den Spielball reinigen, dass die britischen Kommentatoren Referee Marcel Eckhart schon eine weitere Einnahmemöglichkeit nahe legten. Im ersten Frame des Tages spielte er noch lange weiter, nachdem er schon eine ganze Wagenladung voller Foulpunkte brauchte. Dieses Mal war er aber nicht in der Mission unterwegs, sich damit selbst aus dem Konzept zu bringen. Er wollte 100% geben. Das galt auch für John Higgins. Über die nächsten Frames fochten sie in gegenseitigem Respekt ein paar unnachgiebige Safety-Duelle aus und teilten sich die Frames zur Pause 2–2. Außerdem spielte Ronnie O’Sullivan eine der besten Clearances, die ich jemals gesehen habe:

John Higgins konnte das aber nicht reichen, er musste dringend Rückstand gut machen. Nach der Pause lag das Momentum bei ihm. Ein Century gewann ihm den Frame und im nächsten war er direkt wieder in den Bällen. Er verschoss Rot auf die Mitte und O’Sullivan bestrafte diesen Fehler mit einem Century. Higgins wusste, dass er sich absolut keine Fehler erlauben durfte. In Frame 22 verschoss er einen langen Einsteiger deutlich. Bäng! Da flog das Queue. Zwar bekam er noch eine weitere Chance im Frame, doch John Higgins Gegenwehr schien gebrochen. Im letzten Frame der Session durfte Higgins dann nur noch den Break-Off spielen, O’Sullivan räumte mit 134 Punkten den Tisch dann direkt ab.

Keine überraschende Wendung mehr am Abend

In der letzten Session am Abend brauchte O’Sullivan also nur noch zwei Frames. Der Vorsprung war groß. Der Weg zurück von 9–15 schien für John Higgins zu weit. Zwar konnte er den ersten Frame nach einem leichten Fehler von O’Sullivan noch holen, im folgenden Frame lief es dann aber umgekehrt: John Higgins mit Fehler, Ronnie O’Sullivan räumt ab. Der vorletzte Frame ging erneut an Higgins, bevor O’Sullivan das Match beendete. Nach einer verschossenen langen Roten von Higgins blieb ein kniffliger Einsteiger auf die Mitte. O’Sullivan lochte und spielte eine 83, die ihm Frame und Match mit 17–11-Endstand gewann.

WM-Finale zwischen Judd Trump und Ronnie O’Sullivan

Im Finale kommt es nun zur Begegnung zwischen dem Weltmeister von 2019 und dem Weltmeister von 2020. Während Judd Trump eine bestenfalls durchwachsene Saison mit seinem zweiten WM-Titel vergessen machen kann, spielt Ronnie O’Sullivan darum, den Rekord von Stephen Hendry einzustellen: sieben Weltmeistertitel in der Crucible-Ära zu erzielen.

Morgen um 14:00 Uhr MESZ startet das Finale. Wir hoffen auf zwei spannende Tage voller gutem Snooker, hoher Breaks und natürlich ganz viel Drama.

AutorIn: Målin

Målin mag Zahlen und Tabellen. Wenn sie gerade kein Snooker guckt, wirft sie wahrscheinlich einen Blick auf die Provisional Rankings. Ist durch Langeweile zum Snooker gekommen und weil sie schon in jungem Alter einen eigenen Fernseher im Kinderzimmer hatte. Neben Artikeln kümmert sich Målin bei SnookerPRO um die Spieler*innenprofile. Twitter: @esel_freund

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