Wir haben ein Auge auf… Sean „The Storm“ O’Sullivan

Sean O'Sullivan
Sean O'Sullivan, Foto © Monique Limbos

An einem öden Nachmittag in der snookerfreien Zeit zwischen den Jahren stieß ich auf die „Mr & Mrs“-Videos von WorldSnooker. In einem zierten sich Judd Trump und Jack Lisowski offen zuzugeben, dass sie die Frage nach „Wer ist am beliebtesten bei den Frauen?“ nicht beantworten konnten, in dem anderen fühlte sich ein mir bis dato unbekannter Jemand namens Sean O’Sullivan in der Rolle der Mrs sehr unterhaltsam ausgesprochen wohl, was mich zu der Frage führte: Wer ist dieser junge Mann, der eine pinkfarbene Perücke mit einem solchen Selbstbewusstsein trägt und einen nicht schwächlich wirkenden Martin Gould so souverän beim Armdrücken abledert? Ich ging dieser Frage nach, lernte einen freundlichen Menschen kennen und werde zukünftig an dieser Stelle den Werdegang von Sean „The Storm“ in loser Folge dokumentieren.

Sean O’Sullivan, geboren 1994, lebt in East London und trainiert im Pocket Aces Snooker Club in Leytonstone. Im Alter von 9 Jahren kam er vom Poolbillard zum Snooker und gewann 2006 zwölfjährig die „Essex Under 18 Championship“. Sean wurde 2012 Profi, als er sich durch die Q-School für die Main Tour qualifizierte, dort zwar lediglich 5 seiner 25 Spiele gewann, es aber bis in die 3. Qualifizierungsrunde für die China Open schaffte. Anfang dieser Saison erreichte er die erste Finalrunde der Indian Open 2013 und die zweite Runde der UK Championship 2013. Im Erstrundenmatch zeigte er reichlich Charakter: Er besiegte Antony Hamilton nach einem 0:4 Rückstand mit 6:4 und bezeichnet das als das bisher denkwürdigste Spiel in seiner Karriere. Momentan bewegt er sich um Rang 90 der Weltrangliste. www.cuetracker.net bietet einen Überblick über seine bisherigen Ergebnisse.

Am Ende der Saison 2012/2013 war er über sein Abschneiden etwas enttäuscht und hatte sich für die zweite Saison vorgenommen, mehr Spiele zu gewinnen und endgültig auf der Main Tour zu bleiben. Jetzt, Anfang März 2014, sieht er sich in einer schwierigen Situation: Auch wenn sein Ziel am Anfang der Saison realistisch schien, kann ihn jetzt nur noch ein überraschender Lauf bei der WM retten und den notwendigen Ranglistenplatz für den Verbleib auf der Tour sichern. Sonst heißt es: zurück zur Q-School und darüber versuchen, erneut auf die Main-Tour zu kommen.

Sean O'Sullivan

Sean O’Sullivan, Foto © Monique Limbos

Sean hat im Laufe der letzten Jahre nicht nur sein Safty-Spiel, sondern auch sein Allround-Spiel verbessert. Um sich fit zu halten, geht er regelmäßig in die „Muckibude“, denn besonders auf Turnieren ist seine Fitness ein wichtiger Faktor. Was ihm häufig noch fehlt, ist die Erfahrung. Bei seinem Erstrundenspiel bei den Gdynia Open im Februar 2014 gegen Alan McManus führte er (bei best of 7) mit 3:2. Er war gut in den Bällen und seine nächste Kugel war die Schwarze vom Punkt, von der aus er über zwei Banden auf die nächste Rote stellen wollte. Und dann wollte er es zu perfekt machen. Bei dem Versuch, eine bessere Position auf Rot zu bekommen, verschoss er Schwarz. Damit hatte er nicht nur diesen Frame verloren, sondern das ganze Spiel, denn im entscheidenden 7. Frame ließ McManus ihm keine Chance mehr „Ein Anfängerfehler“, sagt Sean „ich hätte sicher lochen und im Falle einer schlechten Position zu Rot eine Safety spielen können. Aus diesem einen Stoß lerne ich eine ganze Menge!“

Und doch kann er besser damit leben, solche Chancen nicht genutzt zu haben, als gar keine zu bekommen. Kurz nach diesem Spiel verlor er in der 1. Qualifikationsrunde für die China Open sein Match gegen Tian Pengfei 0:5. „Es war frustrierend, denn ich weiß, dass ich momentan gut spiele. Und ich habe keine Fehler gemacht, aber Tian hat ein so brillantes Snooker gespielt, dass ich keine Chance hatte.“ Für ihn sind beide Arten zu verlieren enttäuschend, einfach weil es Niederlagen sind. Aber vergebende Chancen bedeuten, dass er welche hatte. Und diese Chance, ein Match gewinnen zu können, wünscht er sich für jedes Spiel.

Snooker ist für Sean ein Vollzeitjob, auch wenn er davon bei Weitem (noch) nicht leben kann. „Als Snookerspieler hast du nicht viel Zeit um auszuspannen oder rumzuhängen, denn du bist dauernd unterwegs. Aber es ist das, was ich immer tun wollte und so, wie die Tour jetzt strukturiert ist, ist es eine großartige Gelegenheit für Leute wie mich. Ich trainiere nahezu jeden Tag und ich bin froh, dass mir das solchen Spaß macht. Allerdings verschlingt es eine Menge Geld, auf der Tour zu sein. Ohne meinen Sponsor könnte ich mir das nicht leisten.“ Ganz besonders weiß er zu schätzen, dass seine Familie und Freunde ihm den Rücken stärken. „Meine Eltern sind selbstverständlich die größte Unterstützung. Ohne sie hätte ich es nicht so weit gebracht und ich bin glücklich und dankbar, so liebende Eltern zu haben, die wunderbare Dinge getan haben, um mich schon in jungen Jahren zu fördern und mir eine Snookerkarriere zu ermöglichen.“

Sean O'Sullivan

Sean O’Sullivan, Foto © Monique Limbos

Wenn er nicht gerade Bälle locht oder im Fitnessstudio seinen Körper stählt, wirft er gerne auch mal Dartpfeile, hört Musik oder schaut Fußball. „Dart ist für mich nur ein Hobby. Ich spiele auf ordentlichem Niveau in der „City Banks Darts League” in East London.“ Diese Formulierung klingt ein bisschen bescheiden, denn sein bestes Finish ist ein 11-Darter und vor Kurzem ist er mit einer verfehlten Triple 19 nur knapp an einem 9-Darter vorbeigeschrammt. Das schaffen nicht viele Hobbyspieler.
Sean hört liebend gerne Musik, zuhause läuft entweder das Radio im Hintergrund oder er legt sich selber Musik auf. Am Liebsten hört er Aktuelles wie Drake, Eminem, Rihanna, Ben Howard, Ed Sheeran, aber auch Elvis und Bob Dylan schallen aus seinen Lautsprechern. Dabei ist ihm nicht nur die Mucke wichtig: „Ich mag es, Lieder mit guten Texten zu hören, die eine tiefere Bedeutung haben und die ich für mich positiv nutzen kann.“

Seine größte Leidenschaft für andere Sportler jenseits des Snooker gilt zweifelsfrei Arsenal London. Auf meine Frage nach Parallelen zwischen ihm und dem Protagonisten aus Nick Hornbys „Fever Pitch“ hüllt er sich in vornehmes Schweigen. Ich werde also nicht berichten können, ob er als „proud gooner“, wie er sich nennt, seltsamen abergläubischen Ritualen folgt und ob er über die Spiele von Arsenal Haus und Hof vergisst. Allerdings gesteht er mir, dass er tatsächlich ein einziges Mal in seinem Leben wegen einer Niederlage von Arsenal geweint hat. Ihm lag bei dieser Enthüllung viel an der Feststellung der Tatsache, dass er damals erst zwölf Jahre alt war. Ich bin der Meinung, dass diese vergossenen Tränen keiner Entschuldigung bedürfen. 17. Mai 2006, Paris, Finale der Champions League gegen Barcelona. Obwohl Arsenal wegen einer roten Karte gegen Torhüter Jens Lehmann nur noch zu zehnt ist, führt die Mannschaft zur Pause 1:0. Der kleine Sean beginnt an das Unglaubliche zu glauben: dass Arsenal den wichtigsten Wettbewerb im Vereinsfußball gewinnen könnte – und das gegen Barça. Und dann brach Beletti Seans Herz und das Millionen anderer Menschen, als er kurz nach dem Ausgleich von Eto’o den 2:1-Siegtreffer für Barcelona erzielte. So nah war Arsenal noch nie dran gewesen – und war es seitdem auch nie wieder. Ich verstehe, dass das einen wahren Fan noch heute schmerzt…

Das komplette Interview in Englisch gibt es hier als Download.

AutorIn: Lula Witzescher

Lula Witzescher (genderqueer), im Netz auch bekannt als Dark Mavis *Lady*. Sucht für den Roman „Belinda to break“ einen Verlag. Streitet im Netz für alle Formen von equality. Hält die Butthole Surfers für die beste Band der Welt. www.twitter.com/lulawitzescher

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