Ein Masters Halbfinale zum Erinnern: Never give up!

Neil Robertson im Halbfinale Masters 2022 am Tisch
Neil Robertson setzt sich gegen Mark Williams durch und steht im Finale des Masters 2022. © World Snooker/Tai Chengzhe

Wir hätten um vier Uhr schon Kaffee trinken gehen können, nach dem Spiel. Mark Williams ‚floatete‘ in gewohnt entspannter Weise in eine komfortable Führung und hatte den Matchgewinn schon auf dem Queue. Aber es hatte offensichtlich die Ansage gegeben, dass die Spieler dem Publikum hier wirklich alles bis zum äußersten Ende zu geben hätten und so entschieden sie das Spiel erst Stunden später: auf die finale Schwarze. Und der Sieger hieß dann ulkigerweise Neil Robertson.

Williams im Halbfinale des Masters mit dem besseren Start

Den ersten Frame des Nachmittags holte sich Neil Robertson mit einer schönen 102. Doch Williams konterte mit 59 und 71 und verwandelte den Rückstand in eine 2–1-Führung. Im vierten Frame legte Robertson vor, doch nach einer unbequemen Bridge-Situation verschoss er Pink und sein Break war bei 52 Punkten zu Ende. Williams stahl dem Australier mit einer 60 den Frame zum 3–1 zur Pause.

Nach der Pause machten beide kleinere Breaks, bis Robertson keine Stellung auf eine Farbe bekam. Im folgenden taktischen Spiel vermasselte er eine Safety völlig und öffnete unbeabsichtigt das Paket der restlichen Roten. Eine weitere Einladung zum Abräumen des Tisches zum 4–1 brauchte Willo nicht.

Ein Wendepunkt, der dann doch keiner war … oder doch?

Im sechsten Frame geriet ‚floaty‘ Mark etwas ins Schwimmen und beide machten mehr oder weniger erstaunliche Fehler. Robertson hatte zunächst die Nase vorn, doch beim Stand von 28 Punkten verfehlte er überraschend eine Rote, die prompt vor dem Loch liegenblieb – nachher sagte er, er wurde durch ein Geräusch im Backstagebereich abgelenkt. Danach versemmelte Mark Williams Rot auf die Mitte, Robbo verschoss Schwarz vom Spot und Willo ließ nochmal Rot auf die Mitte auf dem Tisch liegen. Danach konnte Robertson mit einer letzten tricky Roten den Weg zum Framegewinn freimachen.

Halbfinale Masters: Robertson am Tisch, versucht gerade, die letzte Rote auf die Ecktasche zu lochen.

Ein möglicher Schlüsselmoment im Spiel: Robertson holt den schon fast verlorenen 6. Frame.

Statt 5–1 für Williams, also nur noch einen Frame vom Finale entfernt, stand es 4–2 und Robertson konnte wieder Hoffnung schöpfen. Und diese Hoffnung baute er mit einem wunderschön erarbeiteten 83er Break im nächsten Frame aus.

Wie entspannt ist entspannt?

Doch die Hoffnung währte nicht lange. Den Einstieg zum Break lieferte Williams, der hier ja bekannterweise mit einer „Ist mir egal, ob ich gewinne oder verliere, Hauptsache es macht Spaß“-Haltung antrat, ein Fluke nach Doppelkuss auf eine lange Rote. Daraus erarbeitete er sich eine 91 zur 5–3-Führung. Doch im nächsten Frame verfehlte er einen langen Einsteiger und ließ Robertson eine schöne Chance liegen. Der scheiterte allerdings früh im Break. Williams hatte den Matchgewinn nun auf dem Queue, doch er zeigte wieder Nerven, als er bei offenem Tisch Schwarz vom Spot verschoss. Robbo ließ sich nicht lange bitten und verkürzte erneut seinen Rückstand auf einen Frame.

Gleich nach Williams Break-Off im zehnten Frame versenke er einen phantastischen Einsteiger, der zeigte, dass Robertson hier noch voll selbstbewusst am Kommzurück arbeitete. Mit dem zweiten Century des Matches erspielte er sich den verdienten Entscheidungsframe. In diesem framegewinnenden Break hatte er eine durchschnittliche Stoßzeit von 13 Sekunden.

Ein Decider, der seinesgleichen sucht

Entspannt oder konzentriert? Wer wird hier die erste Chance haben? Willo startete in diesen Entscheidungsframe, der in die Geschichte eingeht, mit einem verschossenen Einsteiger. Robbo bedankte sich für das Geschenk der vor der Tasche liegengelassenen Roten, verschoss aber selber nach 21 Punkten und ließ wiederum Willo Rot liegen. Dieser machte daraus ein gutes Break, unterstützt durch einen unglaublichen Fluke. Rot war nicht wie geplant in die Mitteltasche gefallen, sondern an der Bande entlang in die ‚gelbe‘ Tasche gewandert. Anschließend spielte er den Frameball, ließ dann aber Schwarz vor der Tasche liegen. Er war 46 Punkte in Führung mit noch 43 Punkten auf dem Tisch. Robbo brauchte also Snooker und was schon wie der sichere Sieg für Williams wirkte, setzte sich als Decider-Drama über die nächste halbe Stunde fort.

schwarz, 2x rot und weiß dicht beieinander in der linken unteren Ecke

Die beiden sorgten im anschließenden Safety-Spiel dafür, dass die Schwarze vor der Tasche die letzten beiden Roten zum Kuscheln bekam, was das Spiel außerordentlich reizvoll machte. Wer immer die Schwarze zurerst in die Tasche kicken würde, hätte das Spiel ziemlich sicher verloren. Doch nach viel zartem Gestupse, herzinfarktfördernden Versuchen, eine Rote aus der Ecke zu bekommen und einem Foul von Mark Williams öffnete sich das Spiel wieder und Williams bekam nochmal die Chance, hier Frame und Match einzutüten.

Williams versucht, einen langen Einsteiger zu lochen.

Dieser lange Einsteiger gelang leider nicht.

Robertson snookerte danach Williams auf Gelb und der foulte bei einem versuchten Bogenball um Grün herum. Robbo lochte Gelb, bekam aber keine Stellung auf Grün. In diesem Augenblick verlor ich vor Aufregung kurz das Bewusstsein. Ich kam erst wieder zu mir, als Neil Robertson die letzten beiden Bälle lochte. Hier könnt ihr die letzten Sekunden des Spiels nochmal sehen.

Erleichterung und (mäßige) Enttäuschung

Robertson war im anschließenden Interview den Tränen nahe. Es war buchstäblich zu sehen, wie die Anspannung sich Bahn brach. Er brauchte eine Weile, um sich zu sortieren, bis er zugeben konnte: „Ich habe keine Ahnung, wie ich dieses Spiel noch gewinnen konnte. Aber ich sage: Gebt niemals auf! An alle Kids, die gerade zuschauen. Egal wie es aussieht. Ich weiß auch nicht, es ist einfach unglaublich. Ein Match mit so einem Ende siehst du wahrscheinlich nie wieder im Sport.” Ja, das war wirklich ein Paradebeispiel an Hartnäckigkeit. Unglaublich, dass er hier die Nerven behalten hat und sich in dieser kniffligen Situation nicht nur die Foulpunkte geholt, sondern auch noch eiskalt die letzen Farben abgeräumt hat. Zehn Jahren nach seinem Masters-Titel hat er nun erneut die Chance. Wenn euch das hier noch nicht ausführlich genug war, dann könnt ihr es hier nochmal von Neil hören.

Mark Williams wäre nun doch gerne im Finale angetreten, besonders, weil im der Alarm, den das Publikum hier macht, so gut gefällt. Aber er scheint es auch ganz gut wegzustecken, dass er hier ausgeschieden ist.

Alles Weitere zum Turnier wie immer auf unserer Übersichtsseite.

AutorIn: Lula Witzescher

Lula Witzescher (genderqueer), im Netz auch bekannt als Dark Mavis *Lady*. Sucht für den Roman „Belinda to break“ einen Verlag. Streitet im Netz für alle Formen von equality. Hält die Butthole Surfers für die beste Band der Welt. www.twitter.com/lulawitzescher

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